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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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er nicht muss. Und er muss, wenn er nicht kann. So
     einfach ist das. Aber Martin schien zu können und er schien auch zu wollen, aber irgendetwas schien ihn immer noch davon abzuhalten.
     Ich wagte eine Annäherung an seine Gedanken und konnte es nicht fassen, was ich dort bemerkte. Martin zögerte, weil er keinen
     Knebelsack dabeihatte und sich nicht entscheiden konnte, ob er Birgit fragen sollte, ob sie ein Kondom hätte, oder ob er einfach
     gar nichts sagen und weitermachen sollte, als sei diese Frage völlig irrelevant.
    |186| Ich hielt es nicht mehr aus. Ich sagte: »Martin, stell dich nicht an, nagel sie endlich fest!«
    Die Reaktion war katastrophal. Martin zuckte zusammen, alles an ihm wurde schlaff, in seinem Kopf herrschte das reine Chaos
     der Gedanken und Gefühle, Geilheit, Schock, Hass (vermutlich auf mich), Scham, alles durcheinander. Er sprang aus dem Bett,
     stotterte unzusammenhängendes Zeug, von dem man immer nur das Wort »Entschuldigung« verstehen konnte, alles andere war kompletter
     Schwachsinn. Er raffte seine Klamotten zusammen, zog sich an, entschuldigte sich noch mal bei Birgit, die fassungslos im Bett
     saß und sich vermutlich fragte, ob sie etwas falsch gemacht hatte oder ob der Typ einfach durchgeknallt war, und verließ die
     Wohnung.
    Ich blieb bei Birgit, versuchte sie zu trösten, was aber natürlich nicht ging, da sie mich ja nicht hören konnte. Sie stand
     auf, räumte die Wohnung auf, sah unglücklich aus, fing an zu heulen, trank noch ein Glas Weißwein, diesmal deutlich schneller.
     Alles schien hier schneller zu gehen, wenn Martin nicht da war. Sie ging wieder ins Bett, stand aber nach einer halben Stunde
     wieder auf und schaltete den Fernseher an. Als sie gegen halb zwei auf der Couch einschlief, machte ich mich davon.

|187| SIEBEN
    Es war eine windstille, dunkle Nacht, in der ich durch die Straßen Kölns schwebte und mir nicht sicher war, ob ich zu Martin
     oder ins Institut gehen sollte. Ich tat weder das eine noch das andere, sondern geisterte die restliche Nacht durch die Stadt,
     belauschte die Menschen, versuchte Kontakt herzustellen. Vergeblich. Niemand nahm mich wahr, niemand hörte mich, niemand konnte
     mir seine Gedanken mitteilen. Ich fühlte mich allein. Und ich fühlte mich schuldig. Ich bereute meinen Ausbruch, der Martins
     schönen Abend so unschön beendet hatte. Der vielleicht sogar seine gerade erst erblühende Beziehung zu Birgit beendet hatte.
     Ich würde ihn um Verzeihung bitten müssen. Das ist normalerweise nicht mein Ding, aber in diesem Fall würde ich wohl eine
     Ausnahme machen müssen.
    Am Morgen danach trafen Martin und ich gleichzeitig am Institut ein, er stieg aus der Ente, und während er die Autotür abschloss,
     sagte ich: »Martin, das mit gestern Abend tut mir leid. Ich bitte um Verzeihung.«
    Er tat so, als bemerke er mich gar nicht. Einen Moment war ich in Panik, dachte, dass nun auch diese letzte Verbindung |188| zur Welt der Lebenden abgebrochen sei, aber dann sah ich, dass er sich alle Mühe gab, mich nicht zu bemerken.
    Ich wartete noch einen Augenblick, aber er wurde nicht weich. Also sagte ich noch mal: »Martin, ich habe dich um Verzeihung
     gebeten.«
    Keine Reaktion.
    »Es tut mir leid, nun sei doch nicht nachtragend«, versuchte ich es noch einmal.
    Nichts.
    Martin betrat das Gebäude, ging in sein Büro, hängte den Dufflecoat an den Garderobenständer, zog den Kittel an und ging hinunter.
     Es stand eine Obduktion an. Ich blieb in seiner Nähe, auch wenn ich mir die Details nicht ansah, und sandte immer wieder Entschuldigungen
     in seine Richtung. Er hingegen schottete sich vollkommen ab. Immer wieder bettelte ich, immer wieder ignorierte er mich, spielte
     die beleidigte Leberwurst. Langsam ging er mir auf den Sack.
    Ich gab ihm noch eine Stunde Zeit und entschuldigte mich währenddessen noch drei Mal. Dann änderte ich die Taktik.
    Er stand allein in der Teeküche und wartete, dass das Wasser für seinen Tee kochte, als ich ihm steckte, dass seine Hose offen
     sei. Reflexartig sah er an sich hinunter und fasste an den Reißverschluss, genau in dem Moment, in dem Katrin die Teeküche
     betrat. Ich hatte sie kommen sehen, mein Timing war perfekt. Martin wurde rot.
    »Hallo Katrin«, murmelte er.
    »Hi Martin.« Eine verlegene Geste zur Kaffeemaschine. »Noch Kaffee da?«
    |189| »Äh, ja, ich denke schon.«
    Katrin quetschte sich an Martin vorbei, holte eine Tasse aus dem Schrank und schenkte sich Kaffee ein.

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