Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
Augentropfen gegen übermäßiges Weinen, solche Arzneimittel schleppte vermutlich jede Frau in den unendlichen Weiten ihrer
Tasche mit sich herum. Eine Flasche Wasser – geschenkt. Zwar waren Plastikpfandflaschen sicher gebräuchlicher als eine Laborglasflasche,
aber wenn Irina die Umwelt von dem ganzen Plastikmüll befreien wollte, konnte man ihr das nur hoch anrechnen. Aber der Wodka?
Wollte sie sich etwa nach dem Besuch beim Sparschwein hemmungslos besaufen? Noch schlimmer: erst besaufen und dann ertränken?
Ich würde gut auf sie achtgeben, damit sie sich in ihrem unerträglichen Schmerz nichts antat.
Irina ging zu Fuß. Langsam schritt sie majestätisch durch die Stadt, die traurigen Augen verborgen vor der Welt und mir hinter
einer Sonnenbrille. Ihr Mund war nicht so entspannt wie sonst, fast könnte man meinen, sie trüge ein spöttisches Lächeln auf
den Lippen, aber ich wusste, dass es die mühsam unterdrückte Trauer war, die ihre sonst so sinnlichen Lippen verzerrte. Der
Sommerwind spielte mit ihrem Haar und mit dem Saum ihres leichten Kleides und nicht wenige Männer drehten sich nach ihr um
oder pfiffen hinter ihr her. Sie nahm nichts davon wahr, war ganz in ihrer eigenen Welt versunken und ging weiter und weiter
und weiter. Sie hatte die Zeit, die sie brauchen würde, gut geschätzt, denn es war fast sieben, als sie die Büros des Rechtsmedizinischen
Instituts erreichte.
Ich konnte mir immer noch keinen Reim darauf machen, was sie dort wollte. Wenn in Viktors Abschiedsbrief das Sparschwein als
Mitverschwörer genannt wurde, musste Irina doch wissen, dass er gefährlich war. Mit diesem Besuch setzte sie ihr Leben aufs
Spiel. Das Sparschwein ging schließlich über Leichen!
Irina ließ sich von der geschlossenen Tür nicht aufhalten. Sie kramte ihr Handy hervor, drückte die Wahlwiederholung und meldete
sich an.
Das Sparschwein kam persönlich heruntergetroddelt und öffnete ihr die Tür. Forch war sowieso ein schmieriger Kerl, wenn es
um Frauen ging, aber jetzt sabberte er fast auf seine schräg gestreifte Krawatte vor Aufregung. Ekelhaft angesichts von Irinas
Trauer, die auch noch er selbst zu verantworten hatte. Wer hatte denn Viktor in den Tod getrieben?
Ich begleitete die beiden in das Büro des Sparschweins. Forch bot ihr Platz an, Irina setzte sich, kramte in ihrer Tasche
herum und – brachte die Wodkaflasche zum Vorschein.
»So nehmen wir Abschied in Russland«, sagte sie mit belegter Stimme. Sie musste die Tränen unterdrücken, aber die Wirkung
war einfach umwerfend sexy.
Das Sparschwein stutzte, holte dann aber zwei Gläser aus dem Schrank im Sekretariat, in dem das Geschirr für Besucher stand,
und stellte sie vor Irina auf den Tisch.
»Haben Sie vielleicht auch ein paar Erdnüsse da?«, fragte sie. »Sonst schlägt der Wodka so auf den Magen.«
Forch wunderte sich erneut, schlug ihr aber auch diesen Wunsch nicht ab und ging zurück ins Sekretariat. Derweil füllte Irina
das Wasser aus der kleinen Flasche in ein Glas, stellte es vor sich auf den Tisch und ließ die Flasche wieder verschwinden.
Dann holte sie das Nasentropfenfläschchenaus der Tasche und träufelte etwa zehn Tropfen in Forchs Glas, das sie dann mit dem Inhalt der Wodkaflasche auffüllte. Sie
setzte es gerade auf seiner Seite des Tischs ab, als er mit einer kleinen Packung Cashewkerne wiederkam.
Jetzt kam ich nicht mehr mit. Wollte sie Forch besoffen machen, während sie selbst einen klaren Kopf behielt? Wozu? Wollte
sie die ganze abscheuliche Wahrheit über alle kriminellen Handlungen aus ihm herausholen, während er immer mehr die Kontrolle
verlor?
Aber das war lächerlich. Irina war doch nicht beim KGB. Das hier war kein James-Bond-Film, in dem die schönsten Frauen die coolsten Tricks draufhaben. Das hier war Köln. Rechtsmedizinisches
Institut, Notunterkunft für heimatlose Leichenfledderer. Und meine Irina war keine russische Agentin, sondern eine trauernde
Enkelin.
»Sa sdorowje«, sagte Irina und kippte den Wodka in einem Zug herunter.
»Also …«, stammelte Forch.
»Zu Viktors Ehren«, sagte Irina. »Nur den einen, Herr Forch. Keine Sorge, die Tradition verlangt nicht, dass Sie sich besaufen.«
Das Sparschwein nickte unglücklich, versuchte ein missratenes Lächeln und kippte den Wodka hinunter. Er hustete.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte er, sichtlich bemüht, die Situation wieder in bekanntes, mitteleuropäisches Fahrwasser
zu
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