Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
im Park der Klinik, für die er arbeitete, erhängt.«
Irina wurde kreidebleich. »Im Park …«
»Können wir irgendetwas für Sie tun?«, fragte einer der Männer. Er wartete keine Antwort ab, sondern brachte seine massige
Gestalt in die Senkrechte, schlurfte zur Spüle, nahm eine dort stehende Tasse, füllte sie mit kaltem Wasser aus dem Wasserhahn
und stellte sie vor Irina auf den Tisch. Irina trank mechanisch.
»Hat er einen Abschiedsbrief …?«, flüsterte sie unter Tränen.
Noch einen, dachte ich? Aber dann riffelte ich, was Irinameinte. Wenn Viktor seine Schuld auch öffentlich zugegeben hatte, dann würde sie für immer die Enkelin des kriminellen Viktor
Kwasterow sein. Ganz davon abgesehen, dass die Kripo kommen, die Wohnung durchsuchen und jedes Staubkorn unter dem Mikroskop
beglotzen würde, um eine Beteiligung Irinas nachzuweisen. Gäbe es aber keinen Abschiedsbrief, würde die Polizei sie vielleicht
in Frieden lassen.
»Nein. Da war nichts. Tut mir leid.«
Es folgten weitere zehn Minuten mit wenigen Worten und vielen Tränen, aber dann straffte Irina die Schultern, trocknete sich
die Augen mit einem Taschentuch und bat die Männer freundlich, zu gehen. Die beiden Schwitzkästen sahen sowohl erleichtert
als auch besorgt aus, ließen sich aber von Irina überzeugen, dass sie keinen Unfug machen würde. Sie drückten in der Tür nochmals
ihr Bedauern aus und schlichen die Treppe hinunter.
Irina setzte sich an den Küchentisch, strich gedankenverloren über die Stickereien und tat ansonsten zehn Minuten lang nichts.
Ich umschwirrte sie und bemühte mich redlich, ihr durch meine Gegenwart Trost zu spenden.
Plötzlich ging ein Ruck durch Irina, als hätte jemand den Anlasser gedreht. Sie setzte sich gerade hin, holte ihr Handy aus
der Tasche und tippte eine Nummer ein. Wen würde mein Engel wohl in der Stunde größten Leids anrufen? Wer sollte der Trostspender
sein? Neugierig und auch etwas eifersüchtig klemmte ich mich zwischen Handy und Engelsohr.
Die Stimme, die sich gerade am anderen Ende forsch mit Namen meldete, war die allerletzte, die ich erwartet hatte: »Forch.«
Jetzt war ich platt. Was wollte Irina denn von dem?
»Irina Jelinowa, guten Tag Herr Forch.«
Er erwiderte den Gruß.
»Haben Sie schon gehört, dass mein Großvater sich das Leben genommen hat? – Ja, danke, das ist sehr freundlich. – Herr Forch,
mein Großvater hat ein Schriftstück hinterlassen, in dem er sich zu Verfehlungen bekennt, die in Verbindung mit Ihrem Institut
stehen. – Ja, deshalb rufe ich an. Ich würde gern mit Ihnen persönlich darüber sprechen, aber ich möchte mir das Spießrutenlaufen
im Institut sparen. Könnte ich später vorbeikommen, wenn die Büros leer sind?«
Sie vereinbarten ein Treffen um neunzehn Uhr in seinem Büro, inoffiziell, es wäre nett, wenn er zunächst niemanden davon unterrichten
würde, man würde dann gemeinsam weitersehen, wie man mit den Informationen umginge.
Ich wunderte mich. Ob Viktor wirklich ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte? Und stand in dem Brief auch etwas über das
Sparschwein? Ich verfluchte Viktor, dass er Russisch geschrieben hatte. Sein Deutsch war gut genug, er hätte mir diesen letzten
Gefallen doch tun können.
Irina steckte ihr Handy weg, ging ins Bad und nahm eine lange Dusche. Gut, jeder geht mit seiner Trauer anders um, wenn sie
also duschen wollte, warum nicht? Mir gefiel es immer, wenn Irina duschte. Und diesmal stand sie doppelt so lang unter dem
heißen Wasserstrahl wie sonst. Seifte sich vom Kopf bis zu den niedlichen kleine Zehen sorgfältig ein und wusch sich die wundervollen
Haare. Dann cremte sie ihre wundervoll helle, glatte, samtig schimmernde Haut ein und zog sich an. Schwarze Spitzenunterwäsche,
ein schwarzes Kleid und schwarze Sandaletten. Schwarz, die Farbe der Trauer, stand ihr unglaublich gut. Sie sah heißer aus
denn je.
Irina stellte ihre große Umhängetasche auf den Küchentisch, nahm eine gläserne Halbliterflasche, die nach Labor aussah und
ein Etikett trug, das ich nicht lesen konnte,füllte etwas Wasser hinein und legte sie wieder in die Tasche. Dann vergewisserte sie sich, dass ein Fläschchen mit einem
Gumminippel, wie man es für Nasentropfen verwendet, in der Tasche war, und packte zusätzlich noch eine Flasche Wodka ein.
Ich versuchte mir einen Reim auf ihre Barkeeper-Ausrüstung zu machen, kam aber nicht dahinter. Nasentropfen, okay. Vielleicht
auch
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