Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Küss den Wolf

Küss den Wolf

Titel: Küss den Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Engelmann
Vom Netzwerk:
Luftfeuchtigkeit.
    »Kippt mir nachher bloß nicht aus den Socken, wenn ihr was Alkoholisches trinkt«, mahnte Theodora, die heute ungewöhnlich große Probleme mit der Atmung hatte, sich aber nicht davon abhalten ließ, mir bei den Vorbereitungen zu helfen.
    »Keine Sorge, uns passiert schon nichts, nachher kühlt es bestimmt ab«, erwiderte ich und klopfte den letzten Hering für unser Zelt mithilfe eines Steins in den weichen Waldboden.
    »Und spielt bitte nicht die Heldinnen, sollte es Gewitter geben. Beim ersten Wetterleuchten will ich euch drin bei mir sehen, ist das klar?«, fügte Oma hinzu und betrachtete mein Werk. »Also, Pippa, ich geh jetzt rein und leg mich ein Weilchen aufs Ohr. Du meldest dich einfach, wenn du noch was brauchst.« Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und antwortete: »Schlaf gut!« Dann sah ich zu, wie sie mit schleppendem Gang Richtung Waldhaus schlurfte und hinter der Glastür verschwand.
    Nachdem das Zelt aufgebaut war, legte ich den Boden mit Decken und Kissen aus und baute mithilfe eines langen Bretts und zwei Ziegelsteinen eine Art Tisch. In ungefähr einer Stunde würden Tinka, Jenny, Lula und Max kommen und das war auch gut so, denn ich brauchte dringend Ablenkung.
    Seit gut eineinhalb Wochen wartete ich nämlich wie eine Süchtige auf den angekündigten Anruf von Leo, doch bis jetzt hatte er sich nicht gemeldet. Ich war mittlerweile derart besessen von dem Gedanken an ihn, dass ich auch nachts mein Handy nicht ausschaltete, in der Hoffnung, dass er der anonyme Anrufer gewesen war und sich wieder zu einer ähnlichen Zeit melden würde.
    Die Girls ahnten von alldem nichts, weil ich mein Geheimnis ausnahmsweise mal mit niemandem teilen wollte. Außerdem war ich sehr froh, dass auch meine Mutter das Thema Leo nicht noch einmal aufgegriffen hatte. Leo…
    In den vergangenen Tagen hatte sich sein Bild immer mehr in mein Bewusstsein und mein Herz gegraben und ich wiederholte in Gedanken mantraartig jedes einzelne Wort, das wir an jenem Abend bei Guido gewechselt hatten. Aus Leos Augen sprachen Verführung und Irritation zugleich. Sein Mund, seine Stimme, seine Gestik – alles schien nur dafür da zu sein, mich zu verzaubern und für immer an ihn zu binden.
    Ich schrak zusammen, als es plötzlich neben mir raschelte. Ein schwarzer Schatten erhob sich, kreiste einen Moment über mir und flog schließlich mit einem lauten Kraraaaaa davon.
    Das war nur eine Krähe, kein Grund, gleich die Panik zu kriegen , sprach ich mir Mut zu, während mir alle Waldgeister meiner Kindheit auf einmal in den Sinn kamen. Ich versuchte, das mulmige Gefühl möglichst weit wegzuschieben, und heftete den Blick auf das Baumhaus, das mein Vater mir gebaut hatte, als ich fünf Jahre alt war, kurz vor seiner Rückkehr nach Südfrankreich. Dort hatte ich mich immer geborgen gefühlt. Unzählige Stunden hatten Jacques und ich damit verbracht, zusammen mucksmäuschenstill zu sitzen und gebannt den Stimmen des Waldes zu lauschen.
    Dem klagenden Ruf des Käuzchens, das nach altem Aberglauben als Unglücksbringer und Todesbote galt. Dem lauten Klopfen des Buntspechts, der die Baumrinde spaltete, um dahinter Käfer und Maden zu finden oder in einem Astloch ein Nest zu bauen. Dem Summen und Surren von Insekten, dem Rascheln der Blätter, dem Knacken der Äste…
    Seit damals war das Baumhaus mehr und mehr in sich zusammengefallen, als hätte es darunter gelitten, dass mein Vater uns verlassen hatte. Als sei es ein Spiegel meiner Kinderseele. Ich selbst hatte es seit dem Tag nicht mehr betreten, an dem Verena und ich meinen Vater zum Flughafen gebracht hatten.
    Plötzlich legten sich Arme um meinen Nacken und mir blieb fast das Herz stehen. Oh, mein Gott!
    »Träumst du?«, fragte Tinka, deren Stimme von weit, weit her zu kommen schien. Gleichzeitig sprang etwas von hinten gegen meine Waden. Tinka lachte: »Max scheint dich vermisst zu haben«, sagte sie, als er freudig bellend seine weiche Hundeschnauze an meiner Jeans rieb. »Meine Güte, habt ihr mich erschreckt«, japste ich, nachdem ich wieder in die Wirklichkeit zurückgekehrt war und halbwegs klar denken konnte.
    »Schau mal, was ich mitgebracht habe«, grinste Tinka, öffnete ihre Leinentasche und holte eine Schachtel heraus.
    »Was ist denn das?«, fragte ich verwundert, als ich den Inhalt sah: vertrocknete, schrumplige Pilze. »Ist ja ein bisschen wie Eulen nach Athen tragen«, kommentierte ich ihr Mitbringsel. »Und was willst du überhaupt damit? Das Zeug

Weitere Kostenlose Bücher