Küss den Wolf
zitronengelbes Top. Ihr langes dunkles Haar floss in seidigen Wellen über ihre schmalen Schultern. Einzelne Locken kringelten sich um den linken Oberarm, der von einem silbernen Reif in Schlangenform umschlossen war. Ihre Statur war klein und zierlich. »Wer bist du? Und wo sind die anderen?«, murmelte ich mit belegter Stimme. »Die liegen im Zelt und pennen ihren Drogenrausch aus«, informierte das Wesen mich. »Lass sie schlafen und kümmere dich stattdessen lieber um den Hund. Der ist ganz verwirrt, weil sein Frauchen abgetaucht ist und sich nicht mehr mit ihm beschäftigt. Also ist er vorhin einfach allein losgelaufen. Ich habe noch versucht, ihn einzufangen, aber leider ohne Erfolg.« Erschrocken sprang ich auf und machte mich auf die Suche nach Max. Lockend rief ich seinen Namen, doch er reagierte nicht. Hoffentlich ist ihm nichts passiert, das würde Tinka das Herz brechen. Nachdem ich eine Weile vergeblich gesucht hatte und dabei immer tiefer in den dunklen Wald geraten war, fing ich an, ängstlich zu werden. Schließlich gab ich seufzend auf und ging wieder zurück zum Zelt. »Auf Nimmerwiedersehen verschwunden, was?«, fragte das Mädchen, das breitbeinig und mit verschränkten Armen vor dem Zelteingang stand, so als würde sie meine Freundinnen bewachen. »Kein Wunder, so wie ihr ihn vernachlässigt habt. Hunde mögen so etwas nicht!«
»Ich würde sagen, das geht dich überhaupt nichts an. Und jetzt mach bitte mal Platz, ich will sehen, wie es den Mädels geht.« Im Zelt lagen Tinka, Lula und Jenny kreuz und quer, über- und untereinander. Die Arme und Beine waren zu einem scheinbar unentwirrbaren Knäuel verknotet. Alle drei schnarchten, dass die Zeltwände bebten. Das hatte ich bei ihnen noch nie erlebt. »Diese Magic Mushrooms haben auf manche Menschen eine ziemlich fatale Wirkung«, kommentierte das Mädchen die Szenerie. »Aber keine Sorge: So ein Trip hält nicht besonders lange an. Morgen früh werden sie sich fühlen, als hätten sie schlecht geträumt, und gegen Mittag sieht die Welt dann schon wieder besser aus.« Da ich die Girls keinesfalls wecken wollte, krabbelte ich wieder aus dem Zelt und musterte die mysteriöse Waldläuferin genauer. Schwer zu sagen, wie alt sie war. Aus irgendeinem Grund wirkte sie wie aus der Zeit gefallen. »Wie heißt du eigentlich?«, fragte ich. »Holla«, lautete die prompte Antwort und ich überlegte, ob das Mädchen eher bekifft oder betrunken war. Kein normaler Mensch trieb sich um diese Uhrzeit allein im Wald herum…
»Holla, also. Und weiter?«, bohrte ich.
»Wie weiter? Meinst du meinen Nachnamen oder was?«
»Wäre zumindest eine Möglichkeit«, knurrte ich und bereute schon, mich überhaupt auf dieses absurde Gespräch eingelassen zu haben.
»Die Waldfee«, antwortete Holla.
Laut prustend brach ich in Lachen aus. »Du willst mir allen Ernstes weismachen, dass du Holla die Waldfee heißt? Das ist doch nur so eine Redensart und höchstens noch dein Nickname bei Facebook.«
Holla sah mich traurig an: »Magst du meinen Namen etwa nicht?«, fragte sie mit einer Klein-Mädchen-Stimme, die der von Lula sehr ähnlich war. OH MEIN GOTT!
Warum passierte so etwas ausgerechnet mir?
Warum lag ich nicht genauso wie die anderen Maki-Girls in einem komaartig tiefen Schlaf und bekam von alledem nichts mit?
»Also, Holla, ich will dich ja nicht verletzen. Aber ich würde jetzt wirklich gern weiter nach Max suchen und mich dann auch schlafen legen. Geh nach Hause, deine Eltern vermissen dich bestimmt schon.« Holla verzog das Gesicht, als hätte ich gerade etwas besonders Unintelligentes gesagt. »In meiner Welt habe ganz allein ich das Sagen!«, erklärte sie, nun wieder ganz die Alte, und zog einen wütenden Schmollmund.
»Okay, dann halt nicht. Wie auch immer, ich würde jetzt sehr gern allein sein, okay?« Holla zuckte wortlos mit den Schultern, drehte sich auf dem Absatz um und nahm Kurs auf das Baumhaus.
Ich sah, dass sie begann, die morschen Stufen der hölzernen Leiter zu erklimmen, und rief laut: »Halt! Du brichst gleich ein!« Gleichzeitig rannte ich auf sie zu, um sie im Falle eines Sturzes auffangen zu können.
Als ich nach ihren Schultern griff, stutzte ich. Anstelle des T-Shirt-Stoffes ertastete ich weiches, feines Gewebe. Ein bisschen wie Organza oder diese Chintz–Stoffe, die ich aus Theodoras unerschöpflichem Theaterfundus kannte.
»Hey, pass auf, du machst sie sonst noch kaputt«, beschwerte sich Holla und war - schwups - auf der
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