Küss den Wolf
offenem Mund gelauscht, bis Verena dem ganzen Zirkus, wie sie es nannte, ein Ende gesetzt und Oma verboten hatte, mich mit diesem – O-Ton! - esoterischen Mist vollzustopfen.
Das war genau zu der Zeit gewesen, als Jacques uns verlassen hatte und ich ein bisschen Trost durch Mythen und Märchen durchaus gebraucht hätte.
Gerade als ich las, dass Feen Butter mochten (Butter?!? Echt?), klingelte das Telefon. Am Apparat war Irene, Großmutters Nachbarin. Sie klang furchtbar aufgeregt und weinte. »Was ist denn passiert?«, fragte ich besorgt.
»Deine Großmutter hatte einen Zusammenbruch«, schluchzte Irene. »Die Sanitäter bringen sie gerade in die Uniklinik. Gibst du deiner Mutter bitte Bescheid?«
Mir fiel beinahe der Hörer aus der Hand.
Zitternd vor Angst bedankte ich mich für den Anruf und rief danach im Sekretariat der Uni an, meine Mum hielt gerade ein Seminar. Bis sie endlich zurückrief und sagte, dass sie so schnell kommen würde, wie sie konnte, wartete ich wie versteinert neben dem Telefon.
»Bitte, lieber Gott, lass meine Oma nicht sterben«, flehte ich und Tränen schossen wie Sturzbäche aus meinen Augen.
Martini schmiegte sich maunzend an mich und leckte mir mit ihrer rauen Katzenzunge den Handrücken.
Doch nicht nur meine Katze stand mir in dieser schweren Stunde bei…
Plötzlich umhüllten mich weiße, schimmernde Flügel und umarmten mich zärtlich. »Wir lassen dich nicht allein, wir sind bei dir, egal was passiert!«, wisperten sphärisch klingende Stimmen.
Und ich war in diesem Moment sofort bereit, ihnen zu glauben.
19.
Donnerstag, 14. April
Ich kann heute weder in die Schule kommen noch zum Sushi-Essen, weil ich bei meiner Großmutter im Krankenhaus bin, simste ich den Mädels und hätte schon wieder heulen können. Gestern war Theodora operiert worden, die kommenden Tage würden zeigen, wie gut sie den Eingriff überstanden hatte. Verena und ich hatten die Nacht in der Uniklinik verbracht und uns die ganze Zeit an den Händen gehalten. Ich konnte mich nicht erinnern, dass wir einander jemals so nahe gewesen waren. »Hast du nicht erzählt, dass morgen die neue Heizungsanlage montiert werden soll?«, fragte Verena plötzlich und riss mich mit ihrer Frage aus meinen Angstfantasien, in denen Oma die Operation nicht überlebte. Stimmt ja – die Heizung… Ich musste Leo informieren. Doch dummerweise hatte ich seine Telefonnummer immer noch nicht, weil er nach wie vor als UNBEKANNT anrief und ich immer viel zu sehr durch den Wind gewesen war, um ihn darauf anzusprechen. Wie konnte ich nur so dämlich sein? Als ich realisierte, dass Leo die Fäden unserer Beziehung immer noch ganz allein in seinen Händen hielt, indem er Mister Unerreichbar spielte, wurde ich mit einem Mal wütend: Wie kam der Kerl eigentlich dazu, sich so zu verhalten?
Fatalerweise hatte ich überhaupt keine Ahnung, wann die Handwerker kommen würden, um die Anlage zu montieren. »Ich hol mir mal einen Kaffee, willst du auch was?«, fragte Verena, stand auf und strich ihre Stoffhose glatt. Sie sah müde aus.
»Eine Cola und ein Brötchen wären toll«, antwortete ich.
Kaum war meine Mutter in Richtung Cafeteria entschwunden, saß – schwups – Holla auf ihrem Stuhl. »Mach dir keine Sorgen, Pippa, deiner Großmutter geht es bald besser. Die Feengemeinschaft hat alle Energien gebündelt, um ihr zu helfen.«
»Meinst du wirklich, das funktioniert?«, fragte ich traurig.
Mithilfe einer Schale Milch den Anruf eines Typen herbeizuwünschen, war eine Sache – eine herzkranke Großmutter wieder gesund zu machen, hingegen eine ganz andere!
»Feen sind bekannt für ihre Zauberkräfte! Wir sind wahre Meisterinnen darin, heilende Energien zu spenden. Die Voraussetzung ist allerdings, dass man uns auch lässt…«
Wenn es Oma half, wieder auf die Beine zu kommen, würde ich alles machen, notfalls auch mit Holla kooperieren. »Was muss ich tun, um euch zu unterstützen?«, fragte ich leise. Hoffentlich beobachtete mich keiner, die Abteilung Psychiatrie lag schließlich im Nebengebäude! Holla lächelte milde und streichelte mir übers Haar. »An uns glauben und uns vertrauen, weiter nichts.« So einfach das klang – so kompliziert war es in Wirklichkeit. Genau in dem Moment, als Verena mit einem voll beladenen Tablett um die Ecke bog, kam der behandelnde Arzt auf sie zu. »Frau Möller, ich habe gute Neuigkeiten. Der Zustand Ihrer Mutter ist im Augenblick recht stabil. Deshalb würde ich vorschlagen, dass Sie beide
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