Küss den Wolf
rational und verbohrt . »War nur ein Scherz, Mum«, versuchte ich, mich aus der Affäre zu ziehen. »Außerdem muss ich jetzt los!« Ich gab ihr einen Kuss, schulterte den Rucksack und rannte die Treppe hinunter. »Dann stelle ich die Schüssel wohl mal in die Spülmaschine«, rief Verena mir hinterher.
Während ich in die Pedale trat, begann es zu regnen, doch das war mir egal. Irgendwie wunderte es mich dann auch überhaupt nicht, als auf einmal mein Handy klingelte und der unbekannte Anrufer sich als Leo entpuppte: »Hast du Lust, Freitagnachmittag mit mir zu deiner Großmutter zu fahren? Dann können wir zuschauen, wie die neue Heizungsanlage montiert wird, und danach vielleicht zusammen kochen oder so.« Ich versuchte, das Kunststück zu vollbringen, gleichzeitig zu fahren und zu telefonieren. »Gern«, antwortete ich so knapp wie möglich, da Lula auf mich zufuhr und wild mit den Armen wedelte, weil wir drauf und dran waren, miteinander zu kollidieren. »Ich ruf dich Donnerstagabend wegen der Details an«, sagte Leo, nachdem ich »Klingt gut!« hinzugefügt hatte. Dann war, klack, die Verbindung auch schon wieder unterbrochen. »Hey, du Verkehrsrowdy«, schimpfte Lula und kam mit vor Erregung geröteten Wangen zum Stehen. Ich bremste ebenfalls scharf. »Tut mir leid, kommt nicht wieder vor«, entschuldigte ich mich und zog mir die Kapuze meines Sweaters über den Kopf. »Mit wem hast du denn telefoniert?«, wollte Lula wissen, nachdem sie mir einen Begrüßungskuss gegeben hatte und wir unsere Räder Richtung Schule schoben. Erstaunlicherweise hatte ich zum ersten Mal, seit ich Leo kannte, das Bedürfnis, mein Geheimnis zu lüften und endlich von ihm zu erzählen.
Lula drehte beinahe durch vor Freude: »Pippa ist verknaaallt, Pippa ist verknaaaallt«, sang sie fröhlich und sprang in die Pfützen wie ein kleines Kind. »Halt die Klappe«, zischte ich und scannte die Umgebung ängstlich nach Zuhörern ab. »Ich bin nicht der Typ, der so was gleich in die Öffentlichkeit trägt. Wehe, du kommst auf die Idee, das auf Facebook zu posten, dann bist du nämlich so gut wie tot!«
»Wer ist tot?«, fragte Jenny, die neben uns auftauchte.
»Pippa hat sich in einen Typen namens Leo verknallt«, krakeelte Lula begeistert. »Hey, was hab ich gerade gesagt?« Wütend stieß ich ihr meinen Ellenbogen in die Rippen. »Echt jetzt?«, fragte Jenny. »Und wo hast du ihn aufgegabelt?«
Ich erzählte, dass ich Leo in der Zwergen-WG kennengelernt hatte. »Und so komisch es jetzt auch klingen mag – es war Liebe auf den ersten Blick!«, hörte ich mich plötzlich zu meinem eigenen Entsetzen girlyhaft herumschmachten.
»Na, das ist ja schön für dich«, kommentierte Jenny meine große Nachricht trocken. Mittlerweile war es schon wieder so spät, dass wir zur ersten Stunde rennen mussten.
»Weiß Tinka eigentlich schon von der Sache mit Leo?«, wisperte Jenny, während unser Biologie-Lehrer versuchte, uns das Thema Genetik schmackhaft zu machen.
Mein Herz sank mir augenblicklich in die Kniekehlen.
Wie hatte mir nur so etwas Dummes passieren können?
In meiner Euphorie hatte ich Verrat an meiner besten Freundin begangen, indem ich Lula und Jenny zuerst in mein Geheimnis eingeweiht hatte. Das musste ich unbedingt klären, bevor wir uns morgen Abend zum Sushi-Essen trafen. »Nein, weiß sie nicht«, flüsterte ich zurück. »Und es wäre super, wenn ihr zwei ihr das nicht auf die Nase binden würdet, bevor ich die Chance hatte, es ihr selbst zu sagen.« Anstelle einer Antwort verzog Jenny das Gesicht.
Als ich am späten Nachmittag zu Hause ankam, rief ich bei Theodora an, um mit ihr zu besprechen, was wir Freitag essen wollten. Doch ich erreichte nur den AB.
Um die Zeit bis zu ihrem Rückruf zu überbrücken, setzte ich mich an den Rechner und googelte das Stichwort Feen.
In den unzähligen Einträgen las ich unter anderem, dass Feen einen Zugang zur Anderswelt hatten, ihre magischen Kräfte in der Mittsommernacht am stärksten waren und sie durch die Kraft des Mondes angelockt wurden. Verträumt starrte ich ins Leere und erinnerte mich an Geschichten, die Theodora mir erzählt hatte, als ich klein war.
Sie hatte mich damals in viele mystische Geheimnisse eingeweiht, mit mir zusammen die Feen-Statue am Teich aufgestellt, mich mit den Blumenelfen in ihrem Rosengarten bekannt gemacht und von Baumfeen namens Dryaden erzählt.
Ich hatte den Geschichten von wilden Sturmfeen, scheuen Einhörnern und guten Waldgeistern mit
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