Küss den Wolf
erst einmal nach Hause gehen und sich ausruhen. Sie können gern am Nachmittag wiederkommen und die Patientin besuchen.«
»Meinen Sie wirklich?«, fragte Verena unsicher und auch ich hatte ein ungutes Gefühl. Doch ich konnte aus dem Augenwinkel sehen, dass Holla in einiger Entfernung hinter einer Säule stand und den Daumen nach oben streckte. An sich hatte ich immer geglaubt, dass Feen mit etwas anderen Mitteln arbeiteten, zum Beispiel magische Lichtzeichen sandten oder Feenstaub auf einen herabrieseln ließen. »Komm, du bist doch auch müde«, sprach ich Verena Mut zu. Mit Blick auf Doktor Carsten Ruhland (so stand es zumindest auf seinem Namensschild) sagte ich: »Sie melden sich doch sicher sofort, wenn etwas… Außergewöhnliches passieren sollte, oder?! Wir wohnen ja zum Glück auch ganz in der Nähe.« Doktor Ruhland nickte freundlich und Verena ließ sich schließlich widerstandslos von mir zum Ausgang führen. Zu Hause angekommen legte sie sich sofort ins Bett. Ich selbst war noch zu aufgedreht und machte mir erst mal eine Kanne Hagebuttentee, um in Ruhe überlegen zu können, wie ich Leo erreichen konnte. Sollte ich wieder auf die Unterstützung der Steinfee bauen und ihr ein Stück Schokolade vor die Tür legen?
Oder war ein Glas Nutella die bessere Wahl?
Als ich in die Küche ging, um nachzuschauen, ob wir überhaupt etwas Süßes im Haus hatten, klingelte mein Handy: Leo.
Er klang ziemlich abgehetzt und hektisch. »Deine Großmutter hatte einen Herzinfarkt?«, schmetterte er mir ohne weitere Begrüßung entgegen. Ich merkte, wie die Wut wieder in mir hochstieg, und konterte: »Kannst du mir mal bitte verraten, woher du das weißt? Es kann ja wohl nicht sein, dass du offenbar einen direkteren Draht zu Theodora hast als zu mir?!« Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment still. »Ich habe einen Anruf von der Nachbarin deiner Großmutter bekommen. Sie hatte einen Zettel gefunden, auf dem Theodora meinen Namen und meine Nummer notiert hatte.«
»Und wieso weiß Oma, wie sie dich telefonisch erreichen kann, und ich nicht?«, fragte ich, immer noch stinksauer. Hatte Leo eben noch ein wenig genervt geklungen, so schnurrte er jetzt plötzlich wie eine Katze. Okay, nicht wie eine Katze – der Vergleich hinkte natürlich –, aber sein Tonfall war auf einmal ganz sanft, warm und beinahe zärtlich. »Du hast meine Nummer nicht? Aber warum hast du denn nicht schon längst was gesagt? Es ist doch das Normalste der Welt, dass man die Nummern tauscht«, sagte er und ich kam mir auf einmal total blöd vor.
Au Mann, ich hatte WIRKLICH keine Ahnung von Typen!
»Aber bevor ich dir die Nummer gebe, würde ich wirklich gern wissen, wie es Theodora geht.« Ich berichtete vom aktuellen Stand der Dinge und tigerte gleichzeitig im Zimmer auf und ab. »Puh, da bin ich aber froh«, seufzte Leo und mir ging sofort das Herz auf. Das alles war nur ein dummes Missverständnis gewesen! Leo hatte gesagt, dass er mich mochte, machte sich auch noch Sorgen um Theodora und wollte sie sogar im Krankenhaus besuchen. Das war wirklich lieb und einfach wunderbar! Doch es kam sogar noch besser: »Was hältst du davon, wenn ich die Sache morgen übernehme?«, fragte Leo, nachdem er angeboten hatte, sich von Irene Omas Schlüssel geben zu lassen und die Montage der Heizung persönlich zu überwachen.
20.
Freitag, 15. April –
Ein Wohnblock im Schanzenviertel
Katharina Flurer schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf und freute sich, nach einem zweiwöchigen Besuch bei ihrem Sohn endlich wieder zu Hause zu sein.
Sie würde sich als Erstes einen Kaffee machen und dann ein entspannendes Schaumbad nehmen.
Die Koffer konnte sie später immer noch auspacken.
Als sie die Tür zum Badezimmer öffnete, traf sie beinahe der Schlag: Das Handwaschbecken lag zertrümmert auf dem Boden, die Wanne war mit Müll und Schutt gefüllt, sämtliche Armaturen und Wasserhähne waren spurlos verschwunden.
Ihre geliebte Tapete mit dem Rosenmuster hing in Bahnen von der Wand, als hätte sie jemand mit heißem Dampf abgelöst.
Die Scheiben des Badezimmerschränkchens – eine kostbare Antiquität – waren eingeschlagen, die Parfümflakons lagen zerschmettert auf dem Fußboden.
Katharina stockte der Atem und sie glaubte zunächst an ein grausames Trugbild.
Doch die Verwüstung im Badezimmer war bittere, unwiderrufliche Realität.
Was zum Teufel war hier passiert?
Und wieso beschränkte sich die Verwüstung nur auf das Badezimmer?
Als Katharina
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