Küss den Wolf
schließlich entdeckte, dass ihr über alles geliebter Porzellanengel, den ihre Mutter ihr vor langer Zeit geschenkt hatte, ebenfalls in tausend kleine Scherben zerbrochen war, begann sie zu schreien…
21.
Freitag, 15. April
Theodoras Zustand war leider immer noch nicht stabil. Wir hatten sie gestern am späten Nachmittag besucht, aber nur kurz mit ihr sprechen können, weil sie immer noch sehr schwach war.
Heute Morgen war meine Mutter zur Uni gegangen, hatte aber versprochen, so schnell wie möglich wiederzukommen. Ich versuchte, mich mit Lesen von meiner Sorge um Oma abzulenken, doch die Buchstaben tanzten wie Hieroglyphen vor meinen Augen, anstatt irgendeinen Sinn zu ergeben. Deshalb war ich froh, als mein Handy klingelte und der Name Tinka im Display aufleuchtete.
»Wie geht es Theodora?«, fragte sie, klang jedoch für ihre Verhältnisse äußerst reserviert. Ich erzählte, dass Oma leider noch nicht außer Gefahr war, wir sie nachher besuchen würden und dass ich so lange nicht zur Schule gehen würde, bis sich ihr Zustand stabilisiert hatte. »Na dann drücke ich die Daumen, dass das bald der Fall ist«, antwortete Tinka im selben, distanzierten Tonfall. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich verwirrt. »Und wieso hast du überhaupt Zeit zu telefonieren. Musst du nicht arbeiten?«
»Ich habe freitags Berufsschule, wie du eigentlich wissen müsstest«, zickte es am anderen Ende der Leitung. »Ach ja, stimmt, das habe ich in der Aufregung ganz vergessen. Aber was ist denn los? Du klingst so komisch. Ist was passiert?«
»Na dann überleg mal«, lautete die schnippische Antwort, doch ich hatte keine Ahnung, worauf Tinka hinauswollte. Hatte sie heute eine wichtige Prüfung, die ich vergessen hatte?
»Tut mir leid, aber mir ist gerade wirklich nicht danach, Spielchen zu spielen. Entweder du sagst mir jetzt, was du hast, oder wir lassen das Ganze. Ich habe im Moment echt schon genug am Hals.«
»Zum Beispiel einen Typen namens Leo…«, sagte Tinka, ihre Stimme klirrte wie Eiswürfel. Ach daher wehte der Wind… Offenbar hatten Jenny und Lula ihr Versprechen nicht gehalten und gequatscht.
»Ich kann es nicht glauben, dass ich das per Zufall beim Sushi-Essen erfahre. Immerhin war ich dabei, als du Leo kennengelernt hast. ICH habe dich doch überhaupt erst zu dem Probeessen bei Guido mitgenommen.«
»Es tut mir leid«, sagte ich kleinlaut, weil ich mich schämte. Ich hätte Tinka viel früher von meiner Liebe erzählen sollen, schließlich hatten wir sonst nie Geheimnisse voreinander. »Ich wollte es dir ja sagen, aber dann ist es mir dummerweise schon vorher herausgerutscht, als Lula mich dabei erwischt hat, wie ich beim Fahrradfahren telefoniert habe.«
»Was man ja besser nicht tun sollte.«
»Richtig! Und genau daran hat Lula auch erkannt, dass dieser Anruf etwas ganz Besonderes gewesen sein musste. Dann kam Jenny noch dazu und damit eins zum anderen. Ich hatte die beiden übrigens extra gebeten, dir nichts zu erzählen, damit ich es dir in einer ruhigen Minute alleine sagen kann.«
»Wieso in einer ruhigen Minute? Was ist denn so schwer daran zuzugeben, dass du dich verliebt hast?«
»Nun ja… eigentlich nichts«, antwortete ich gedehnt. Irgendwie fühlte ich mich in die Ecke gedrängt. Warum war es mir eigentlich die ganze Zeit so schwergefallen, den Girls von Leo zu erzählen? »Es ist… er ist… ein wenig kompliziert. Mal meldet er sich tagelang nicht, dann taucht er wieder wie aus dem Nichts auf und tut ganz furchtbar schöne Dinge…«, stammelte ich und spürte, wie verworren und blöd das alles klingen musste.
»Du hast eindeutig zu oft Twilight geschaut«, antwortete Tinka barsch. »Wieso das denn?«, fragte ich irritiert.
»Bella klebt doch auch mit totaler Hingabe an Edward, obwohl der Typ sie die meiste Zeit nicht gerade nett behandelt. So etwas nenne ich masochistisch!« Nun wurde ich allmählich sauer: »Sorry, aber das finde ich überhaupt nicht! Gibt es in deinen Augen einen größeren Liebesbeweis, als sich ständig für seine Geliebte zusammenzureißen und komplett gegen das eigene Naturell zu leben?« Also ICH hatte es jedenfalls immer schwer romantisch gefunden, wenn Edward – betört von dem Duft seiner Bella – alles daran gesetzt hatte, um sich von ihr fernzuhalten und sie dadurch zu beschützen…
»Gegenfrage: Findest du es denn gesund, wenn man sich an jemanden hängt, der einem nicht guttut?«
»Ach hör doch auf! Du redest wirklich Blödsinn! Das mit Leo und
Weitere Kostenlose Bücher