Küss den Wolf
ungläubig.
»Aber natürlich brauchen wir das, auch wenn wir an sich unter der Obhut Gottes und der Engel stehen. Jedes Lebewesen braucht doch ein bisschen Fürsorge, oder etwa nicht?« Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu und ich merkte in diesem Moment zum ersten Mal, wie ungewöhnlich Hollas Augen waren. Sie standen leicht schräg, hatten die Form von Mandeln und changierten je nach Lichteinfall zwischen Violett und Türkis.
»Selbst ein Aquamarin braucht Schutz«, fuhr Holla mit ihrer Unterrichtsstunde in Sachen Edelsteine fort. »Er reagiert nämlich äußerst sensibel auf Wärme und Licht.« Aha, aha!
Und was würde dann passieren? Bekam er eine Art Stein-Sonnenbrand oder eine Lichtallergie? »Deshalb ist es auch ratsam, ihn zu brennen. Auf diese Weise behält er sein intensives Blau und verblasst nicht. So, jetzt aber genug davon, kommen wir zum eigentlichen Thema, nämlich Leo. Welche Frage soll ich der Steinfee stellen, wenn es mir gelingt, sie hervorzulocken?«
»Okaaaay… was musst du denn tun, um sie zu holen?« Holla blickte mich mit ihren irritierenden Augen an, klimperte mit den verboten langen Wimpern und sagte schließlich lächelnd: »Na, das Übliche eben: Ihr kleine Geschenke machen.«
»Geschenke?«, fragte ich irritiert.
»Feen lieben alles, was süß ist, besonders Bonbons und Schokolade«, grinste Holla. »Du kannst ihnen aber auch ein Schälchen mit Milch vor die Tür stellen. Und wenn du dann noch ein Teelöffelchen mit Honig dazulegst, schweben sie auf Wolken.« Wieso denn auf einmal ICH?
Hatte Holla nicht vorhin gesagt, SIE würde das alles managen?
»Aber denk dran, die Süßigkeiten vorher auszupacken, auch wenn Feen alles mögen, was glitzert, also auch Alufolie. Aber sie könnten sich vor lauter Freude und Aufregung daran verschlucken und das willst du doch sicher nicht, oder?« Nein, natürlich nicht! Die Fee wurde ja schließlich noch gebraucht.
Ich seufzte tief. Also gut, wenn es helfen würde, Leo zu bekommen, würde ich natürlich auch DAS tun.
17.
Dienstag, 12. April -
Im Schimmer einer Laterne
Allmählich wurden erste Erfolge seiner Aktion sichtbar.
Nach Viola D. und Lothar Merseburg stand nun Katharina Flurer auf seiner Liste.
Mal sehen…
Was konnte er tun, um der fünfundsechzig Jahre alten Frau eine Lektion zu erteilen, die sie nicht so schnell wieder vergaß?
Im Kopf ging er alle Möglichkeiten durch, die er hatte.
Es war wichtig, das Muster nicht zu wiederholen!
Nur so konnte er vermeiden, dass man ihm auf die Schliche kam.
Er seufzte tief und wurde einen Moment traurig.
Sein Herz wurde unvermutet schwer.
Wie schade, dass es keinen anderen Weg gab als diesen.
Doch eines war klar: Manchmal musste man Dinge tun, die einem missfielen, um ans Ziel zu kommen.
Ein philosophischer Grundsatz sagte DER WEG IST DAS ZIEL.
Doch das war in seinem Fall anders.
Vollkommen anders.
Der Weg zu seinem Ziel war steinig und beschwerlich.
Aber er musste ihn gehen, um endlich Anerkennung zu bekommen.
Die Anerkennung, um die er, seit er denken konnte, gekämpft hatte.
Die Anerkennung, die ihm seiner Meinung nach zustand.
Dafür würde er alles andere in Kauf nehmen.
Und dann, ja dann…
18.
Mittwoch, 13. April
Mein Herz schlug vor Aufregung bis zum Hals: Hatte die Steinfee mein Geschenk angenommen? Tatsächlich – wenn nicht Martini das Schälchen Milch leer geschlabbert hatte, dann war die Aktion wohl geglückt und ich meinem Traum, mit Leo zusammen zu sein, ein ganzes Stück näher. »Unfassbar!«, murmelte ich und starrte auf die Porzellanschüssel, die ich um Mitternacht vor unserer Wohnungstür platziert hatte, weil Feen angeblich um diese Zeit besonders aktiv waren.
»Was ist unfassbar?«, wollte Verena wissen und schaute mir über die Schulter. »Du weißt aber schon, dass heute nicht Nikolaus ist?«, lachte sie und streichelte mir übers Haar.
»Du glaubst wohl nicht an Feen, oder?«, fragte ich gut gelaunt und ging zurück in die Wohnung. Wenn ich nicht wieder zu spät zur Schule kommen wollte, musste ich mich beeilen. Doch meine Frage hatte Verena alarmiert: »Wie meinst du das mit den Feen? Sollte das hier so eine Art Opfergabe sein? Hat dir deine Großmutter diesen mystischen Floh ins Ohr gesetzt?« Oh, oh, jetzt musste ich vorsichtig sein. Seit ich denken konnte, hatten Theodora und Verena sich regelmäßig in der Wolle, weil Oma nach Ansicht Verenas zu emotional und esoterisch veranlagt war und sie wiederum in den Augen von Theodora zu
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