Kuess mich doch - Roman
hatte.
»Und was ist mit dir?«, fragte er schließlich. »Wie sieht deine Wohnung aus? Bist du eine Ordnungsfanatikerin oder eher chaotisch?«
Diesbezüglich konnte er sie noch überhaupt nicht einschätzen.
»Hm. Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, weil ich nämlich keine eigene Wohnung habe.«
Er musterte sie fragend. »Was soll das heißen? Wohnst du in einer Wohngemeinschaft?«
»So könnte man es nennen, ja …« Sie drehte sich zu ihm um. »Meine Mitbewohnerin wird demnächst achtzig, lebt seit vierzig Jahren im selben Haus und hat ein Gästezimmer, das ich benutzen darf, wenn ich im Lande bin.«
»Deine Großmutter?« Er erinnerte sich, dass Lexie erwähnt hatte, ihre Großmutter sei für ihr Alter noch sehr rüstig, aber vielleicht war sie ja trotzdem auf irgendeine Art der Unterstützung angewiesen.
Lexie nickte.
»Braucht sie jemanden, der ihr im Haushalt hilft?«
»Um Himmels willen, nein! Sie würde dir schon allein für diese Vermutung kräftig eins überziehen.« Lexies Augen blitzten bei der Vorstellung amüsiert auf. »Selbstständiger als Grandma kann man wohl kaum
sein. Aber sie hat ein Gästezimmer, und ich sehe überhaupt keinen Sinn darin, das ganze Jahr über Miete zu bezahlen, wo ich doch nur sporadisch hier bin. «
Bei ihren Worten wurde ihm flau. Er hätte das Thema zwar lieber gemieden, aber je mehr er darüber wusste, desto besser konnte er sich auf etwaige Enttäuschungen einstellen. »Wie häufig verreist du denn so? Oder sollte ich lieber fragen, wie lange du normalerweise in New York bist?«
»Das kommt darauf an. Manchmal verreise ich öfters, dafür jeweils nur für ein paar Wochen, dann wieder bleibe ich ein paar Monate am Stück weg, wenn ich Lust dazu habe. Das ist der Vorteil in meiner Branche, dass man die Arbeit praktisch überallhin mitnehmen kann.«
Er schüttelte den Kopf. Diese Art zu leben war ihm völlig fremd. »Und was hat dich bewogen, so ein Vagabundenleben zu führen?«
Sie machte eine ausladende Handbewegung, als ob die Antwort auf der Hand läge. »Hin und wieder reizt mich eben ein bestimmtes Land, aber oft werde ich einfach unruhig, wenn ich zu lange an einem Ort bin.«
Genau wie seine Ex, Annie, die ihre Arbeit als Flugbegleiterin geliebt hatte, was anfangs kein Problem dargestellt hatte. Erst als sie immer mehr Einsätze angenommen und alle möglichen Ausreden erfunden hatte, um nicht nach Hause kommen zu müssen, hatten die Schwierigkeiten angefangen.
Coop schob diese Gedanken und die vermeintlichen Ähnlichkeiten beiseite. Lexie war nicht seine Ex. Er
kannte sie noch nicht richtig und hatte keine Ahnung, welche Motive hinter der Wahl ihres Lebensstils steckten.
Aber er war neugierig. »Wo sind dann all die Bücher, von denen du mir erzählt hast – hattest du die nur ausgeliehen? Und was ist mit deinen übrigen Sachen? Brauchst du keinen Platz, um sie irgendwo unterzubringen ?«
»Ich habe ein paar alte Bücher, die bei meiner Großmutter stehen, und alles andere lade ich mir auf meinen E-Reader herunter. Wie gesagt, die moderne Unterhaltungstechnologie ist eine großartige Sache.«
»Aber fehlt dir nicht etwas, wenn du kein eigenes Zuhause hast?«
»Ich habe ein Zuhause. Bei meiner Großmutter, bei der ich seit jeher Zuflucht gefunden habe. Bei ihr habe ich mich am ehesten zu Hause gefühlt. «
In ihren Augen schien das alles ganz selbstverständlich zu sein.
Coop ging zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Wovor bist du geflüchtet?«, fragte er.
Das Aufräumen hatten sie über dem Gespräch längst vergessen, doch jetzt benötigte sie offenbar eine Beschäftigung, denn sie begann schweigend, die gebundenen Ausgaben, die sie gerade ins Regal gestellt hatten, neu zu ordnen.
Dann deutete sie auf die Taschenbücher. »Kannst du mir die als Nächstes reichen?«
Er kam ihrer Bitte nach.
Während sie die Bücher einräumte, begann sie von ihrer Kindheit zu erzählen.
»In meiner Familie sind alle fürchterlich ehrgeizig. Mein Vater arbeitet in einer Bank, meine Mutter in einer Anwaltskanzlei, und meine Schwester ist in die Fußstapfen unseres Vaters getreten. Ich war sozusagen ein Unfall in ihrem sorgfältig durchorganisierten Leben. Ich war nicht geplant, und als wäre das nicht schon schlimm genug, ticke ich auch noch völlig anders als sie. Meine Eltern hätten es gerne gesehen, wenn ich mich an ihren Zielen orientiert hätte. Ich dagegen habe es vorgezogen, die Dinge einfach auf mich zukommen zu lassen.
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