Kuess mich doch - Roman
offenbar nicht näher auf dieses Thema einlassen wollte.
»Also, was möchtest du heute Nachmittag unternehmen? Es ist ein wunderschöner Tag. Ich will dich unbedingt aus dieser düsteren Wohnung entführen. Das hier ist geradezu ein Verbrechen. « Er deutete auf die Vorhänge, die ihre Großmutter wie immer zugezogen hatte.
»Du sagst es.« Sie konnte es kaum erwarten, sich etwas von der Sonne küssen zu lassen.
Ihr schwebte da durchaus etwas vor, doch sie biss sich unentschlossen auf die Wange. Sollte sie ihren liebsten Rückzugsort in der Stadt wirklich mit ihm teilen? Wenn sie erst einmal mit Coop dort gewesen war, würde er nie mehr ganz ihr gehören. Danach würde sie ihn bestimmt immer mit Coop in Verbindung bringen, auch wenn er selbst längst wieder aus ihrem Leben verschwunden war.
Bei dem Gedanken daran hatte sie plötzlich einen dicken Kloß im Hals, als würde ihr die Panik die Kehle zuschnüren. Es war beängstigend, wie viel sie schon für diesen Mann empfand. Trotzdem sagte sie, ehe sie wusste, wie ihr geschah: »Warte, ich hole nur schnell meine Tasche, dann können wir losstarten. «
»Wohin?«
»Lass dich überraschen.«
»Ich liebe Überraschungen.« Ein zufriedenes und zugleich verführerisches Lächeln umspielte seine Lippen. »Dir nach.«
Kein Zweifel, dachte Lexie, mein Rückzugsort wird garantiert nie mehr derselbe für mich sein.
Coop beobachtete, wie Lexie auf die schmale Aussichtsplattform des Empire State Building hinaustrat, ganz nah an die gläserne Umrandung heranging und die Stirn an die Scheibe lehnte. Er war als Kind hier oben gewesen, und auch später noch ein- oder zweimal im Rahmen der Recherchen für einen seiner Artikel. Es wunderte ihn, dass sie ausgerechnet eine touristische Sehenswürdigkeit zu dem Ort auserkoren hatte, an den sie kam, um abzuschalten und geistig aufzutanken. Er konnte es nicht recht nachvollziehen – die Warteschlange am Eingang, dann die Menschenmassen bei den Aufzügen … Das alles war definitiv nichts für ihn.
Aber als sie im betreffenden Stockwerk angekommen waren, geschah etwas Seltsames. Lexie führte ihn zu den Glasscheiben der Aussichtsplattform, und während sie dort standen und die atemberaubende Skyline von New York betrachteten, schienen der Lärm, das Chaos und die Menschen rund um sie herum plötzlich in den Hintergrund zu treten. Auf einmal konnte er verstehen, warum Lexie diesen Ort liebte.
»Mach es mir nach. « Sie stieg auf das Sims, um noch näher an der Scheibe zu sein, und bedeutete ihm, es ihr nachzutun.
Er zögerte und murmelte: »Ich bin nicht ganz sicher, ob mir da nicht schwindlig wird.«
»Bist du etwa ein Angsthase? «, neckte sie ihn. Dann streckte sie den Arm aus und ergriff seine Hand.
Mit einem resignierten Seufzer stellte er sich neben sie auf das Sims, die Zehenspitzen ganz nah am Glas.
»Und jetzt sieh hinunter«, befahl sie sanft und schloss ihre Finger noch fester um seine Hand.
Er beschloss, ihr zu vertrauen und tat, worum sie ihn gebeten hatte, und siehe da, von diesem leicht erhöhten Standort aus präsentierte sich die traumhafte Aussicht aus einer völlig neuen Perspektive. Es fühlte sich an, als würde er über der Stadt fliegen, als befände er sich im freien Fall ohne Sicherheitsnetz. Es war ein herrliches Gefühl.
Er sah hinüber zu Lexie, betrachtete ihr Profil. So gelassen und entspannt hatte er sie noch nie zuvor erlebt. Es war, als könnte er direkt in ihre Seele blicken. Er spürte instinktiv, dass sie nur höchst selten jemandem einen derart tiefen Einblick in ihre Persönlichkeit gestattete. Es war ein unglaublicher Vertrauensbeweis, der ihn unheimlich freute und ihm zugleich eine Heidenangst einjagte.
»Ich will gar nicht mehr gehen«, murmelte sie.
Er drückte ihre Hand. »Ich weiß, aber wir haben noch ein bisschen Zeit. « Noch während er die Worte aussprach, wurde ihm bewusst, dass das nicht unbedingt der Wahrheit entsprach.
Wenig später saß Lexie auf der Rückbank von Coops Auto. Den Beifahrersitz hatte sie ihrer Großmutter überlassen. Charlotte redete ununterbrochen auf Coop ein, so dass Lexie ungestört ihren Gedanken nachhängen konnte.
Sie sah dem Zusammentreffen mit ihrer Familie im Haus ihrer Eltern mit Beklommenheit entgegen. Normalerweise verabredete sie sich mit ihren Eltern in einem Restaurant, damit sie nicht länger als nötig bleiben oder nach Gründen suchen musste, warum sie schon nach Hause gehen wollte. Heute Abend jedoch war alles anders
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