Kuess mich - es ist Karneval
meine Mutter möge eine harmlose Erklärung für alles.haben. Aber sie gab, ohne lange zu zögern, zu, daß sie in Paris als Callgirl gearbeitet habe. Sie schien sogar erleichtert darüber zu sein, daß ich es herausgefunden hatte. So brauchte sie es mir nicht mehr zu erzählen.” Ellen rang sich ein Lächeln ab. “In all den peinlichen Einzelheiten.”
“Wie hast du dich danach gefühlt?” fragte Roberto,
“Ich weiß, es klingt wie ein Klischee, aber ich kam mir vor, als hätte sie eine Handgranate nach mir geworfen, die mich in tausend Stücke zerriß. Nichts im Leben schien mir me hr sicher.
Ich konnte niemandem mehr vertrauen. Und ich haßte Vivienne!
Ständig hatte ich Angst, ein ehemaliger Kunde könnte sie wiedererkennen. Deshalb weigerte ich mich, mit ihr zusammen aus dem Haus zu gehen, und ich bestand darauf, daß sie nie wieder einen Fuß in meine Schule setzte. Ich fühlte mich durch ihr Vorleben beschmutzt. Doch ich wollte auch nicht, daß meine Großeltern oder irgend jemand sonst den Verdacht schöpften, bei uns stimme etwas nicht. Also war ich in Gegenwart anderer Leute nach wie vor sehr liebenswürdig und freundlich.”
“Und zu Hause?”
“Lange Zeit war ich mürrisch und sprach nur, wenn meine Mutter mich etwas fragte. Aber um jemanden permanent zu hassen, braucht man viel Kraft und Energie. Ich wurde also nach und nach wieder etwas umgänglicher. Wir sprachen allerdings nie mehr über Viviennes Callgirl-Zeit, ich hätte es nicht ertragen.”
“Haben deine Großeltern niemals Verdacht geschöpft wegen des vielen Geldes, das Vivienne hatte?”
“Nein. Vielleicht haben sie gedacht, daß ein wohlhabender Freund im Hintergrund ihre Finanzen ab und zu etwas aufbesserte.”
“Sind sie denn niemals nach Paris gefahren, um Vivienne auf der Bühne zu sehen?”
Ellen schüttelte den Kopf. “Meine Großeltern waren zwar glücklich, mich bei sich zu haben, aber sie hatten ein getrübtes Verhältnis zu meiner Mutter. Sie lehnten sie ab, weil sie glaubten, daß sie einen schlechten Einfluß auf meinen Vater gehabt habe. Außerdem konnten sie eine Mutter nicht verstehen, die ihr Baby im Stich ließ, wie Vivienne es getan hatte.”
“Wissen deine Großeltern jetzt etwas über Viviennes Vergangenheit?”
“Nein. Und ich werde es ihnen auch nie erzählen”, beteuerte Ellen. “Sie wären entsetzt, wie Conrado.”
“Und wie du.”
Sie nickte grimmig. “Der nächste Tag in der Schule, an dem ich wieder Priscillas spöttische Bemerkungen über mich ergehen lassen mußte, war der schlimmste Tag in meinem Leben!”
“Hast du ihr etwa gesagt, daß sie recht hatte?” fragte Roberto entrüstet.
“Nein. Ich habe nur gesagt, sie könne denken, was sie wolle, mir sei das egal. Ich ignorierte sie einfach.”
“Aber du konntest die Vergangenheit deiner Mutter nicht ignorieren”, sagte er und legte den Arm noch enger um sie.
“Damit all die Jahre zu leben muß für dich die Hölle gewesen sein.”
“Ja, das war es”, bestätigte Ellen.
Roberto sah sie voller Mitgefühl an. “Und es quält dich noch heute?”
Ihre Lippen zitterten, und Tränen standen in ihren Augen.
Ihre mühsam aufrechterhaltene Selbstbeherrschung brach zusammen. “Ja, das tut es”, gab sie zu und begann zu weinen.
Lange Zeit schluchzte Ellen hemmungslos. Sie weinte über die Schande, doch auch darüber, daß sie all die Jahre das schmutzige Geheimnis ihrer Mutter, das sie und Conrado so unglücklich gemacht hatte, mit sich herumtragen mußte. Es war heute das erste Mal, daß sie mit jemandem ausführlich darüber gesprochen hatte.
Roberto hielt sie fest an sich gedrückt und flüsterte ihr tröstende Worte zu.
“Macht es dir etwas aus, wenn ich noch weiter darüber spreche?” fragte sie.
Roberto zog ein sauberes Taschentuch aus der Hosentasche und gab es ihr. “Erzähl mir alles. Wie ist deine Mutter überhaupt in das Callgirl-Geschäft hineingeraten?”
“Ursprünglich war Geld der einzige Beweggrund”, antwortete Ellen. “Als meine Eltern sich kennenlernten, arbeitete mein Vater als Geschäftsführer in einem Lo ndoner Luxushotel. Er war jung, voller Ideen und sah sehr gut aus”, begann sie.
“Vivienne tanzte damals im Ballett eines Westend-Musicals.
Drei Monate vor der Hochzeit wurde sie mit mir schwanger und gab ihre Arbeit auf.”
“War ihre Schwangerschaft der Grund für die Heirat?” wollte er wissen.
Ellen schüttelte den Kopf. “Der Termin wurde dadurch nur etwas vorgezogen. Sie waren
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