Kuess mich - es ist Karneval
Ellen.
“Nicht schon vorher?” hakte er nach.
“Nicht wie mit dir, nicht halb so sehr. Meine vorigen Partner waren nicht so sinnlich wie du. Außerdem fühlte ich mich gehemmt und konnte mich nie richtig gehenlassen. Ich glaube, ich hatte Angst, lüstern zu wirken.”
“Hattest du Angst davor, wie Vivienne zu sein?” fragte Roberto.
“Ich glaube, ja.”
“Du sagtest, das Hauptmotiv deiner Mutter, dem Callgirl-Ring beizutreten, sei Geld gewesen”, fuhr er fort, “aber was war, nachdem sie die Schulden abgezahlt hatte?”
“Sie tat es wegen ihres persönlichen Gewinns und weil es ihr Vergnügen machte.”
“Vergnügen?” rief Roberto fassungslos.
“Für Madame Lydia zu arbeiten bedeutete einen schnellen Aufstieg in die Welt der vornehmen und reichen Leute. Das reizte meine Mutter. Ihre Kunden hatten alle einen hohen sozialen Status”, erklärte Ellen.
“Wenn das so ein herrliches Leben war, warum hat sie dann damit aufgehört?”
“Sie wurde älter und hatte reichlich Geld auf der Bank.
Außerdem bot ihr ein Kunsthändler die Stellung in seiner Londoner Kunstgalerie an. Und sie sehnte sich nach England zurück und wollte sich vielleicht auch mit jemandem für immer niederlassen.”
“Wollte sie noch weitere Kinder haben?” erkundigte sich Roberto.
“Vivienne hatte in Paris eine Abtreibung machen lassen, die so dilettantisch durchgeführt worden war, daß sie nie mehr Kinder bekommen konnte.” Ellen blickte auf das Taschentuch, das sie in der Hand hielt. “Auch aus diesem Grund hätte ich es äußerst unfair gefunden, wenn sie Conrados Frau geworden wäre.”
“Hat er nicht gewußt, daß sie keine Kinder mehr haben konnte?” fragte Roberto.
“Nein. Zwar hat er von Zeit zu Zeit angedeutet, wie gern er noch einmal eine Familie haben würde, aber sie ist nie darauf eingegangen, sondern hat dazu nur gelächelt.”
Roberto preßte die Lippen zusammen. “Vivienne hat ihm also auch darüber die Wahrheit verschwiegen?”
“Ja”, sagte Ellen. “Trotzdem hat sie ihn geliebt, soweit sie eben dazu fähig war.”
“Wie hat Vivienne auf die Trennung von meinem Vater reagiert?” wollte Roberto wissen.
“Sie war völlig am Boden zerstört. Bevor sie ihn kannte, hatte sie ein reges Gesellschaftsleben geführt. Aber nachdem Conrado sie verlassen hatte, verging mehr als ein Jahr, bis sie sich wieder mit jemandem traf .”
“Liebt sie ihren jetzigen Mann auch nicht?”
“Nein. Aber sie schätzt ihn sehr”, sagte Ellen. “Bernard weiß das und hat sich damit abgefunden.”
“Conrado hätte sich nie damit abfinden können, nur
‘geschätzt’ zu werden. Er hätte Viviennes ganze Liebe und Ergebenheit gebraucht”, erklärte Roberto. “Sein Stillschweigen darüber, daß sie ein Callgirl war, zeigt, wie abstoßend er es fand.
Er hat sich nicht einmal überwinden können, es mir zu erzählen.”
“Zuzugeben, daß die Frau, die man liebt, sich Männern für Geld hingegeben hat, dürfte jedem Mann sehr schwer fallen”, gab Ellen zu bedenken.
Plötzlich fiel ihr ein, daß Roberto noch in Sao Paulo anrufen wollte. Sie gab sich einen Ruck. “Ich werde jetzt für dich die Nummer deines Geschäftspartners wählen, und während du mit ihm telefonierst, mache ich uns zwei kühle Drinks und bringe sie auf die Terrasse. Was möchtest du haben - Soda, wie üblich?”
“Ja, bitte. Wir sind schon wie ein altes Ehepaar”, sagte er lächelnd. “Nur daß du eine Karrierefrau bist.”
Ellen drehte sich zu ihm um. “Und zwar mit Leib und Seele!”
erklärte sie mit Nachdruck.
Roberto hatte sein Telefonat gerade beendet, als sie die Drinks hinausbrachte. Er kam sofort wieder auf ihr vorangegangenes Gespräch zurück.
“Du bist nur aus Ablehnung gegen Viviennes Vergangenheit das prüde, sittsame Mädchen geworden”, stellte Roberto ruhig fest.
Ellen nickte. “Ich hatte lange Zeit Angst davor, irgendwelche sexuellen Signale auszusenden, um nicht als Flittchen angesehen zu werden. Deshalb wollte ich so unattraktiv wie möglich wirken.”
“Nun übertreib bitte nicht”, protestierte er. “So schlimm hast du schließlich nicht ausgesehen.”
“Na, ich habe dein Herz nicht gerade höher schlagen lassen”, sagte Ellen spöttisch lächelnd.
“Zugegeben, damals noch nicht. Du warst eben erst sechzehn Jahre alt geworden und bist noch zur Schule gegangen”, erklärte Roberto. “Aber du warst trotzdem ein süßer Teenager.”
“Mach dich nicht lustig über mich.”
“Ich meine das
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