Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
als er sich noch einmal umdrehte. »Ich würde gern die Zeichnung von Gillian kaufen.«
»Die ist bereits verkauft. Es war eine Auftragsarbeit.«
Sam wurde neugierig. »Wer hat sie gekauft?«
»Miss Rogozinski.« Davison deutete mit dem Kinn in Richtung des geheizten Zelts, wo sich die meisten Erwachsenen zu heißem Cidre, Bier und Bratwürsten versammelt hatten. »Ich kann eine neue Skizze für dich machen.«
»Das wäre nett.« Sam überquerte das mit Stroh ausgelegte Feld und ging auf Minervas Bude zu. »Ich dachte, du sagst Gillian die Zukunft voraus«, sagte er ohne lange Vorrede.
»Das habe ich auch getan. Vorhin«, erwiderte Minerva. Ihre Arme waren mit klimpernden Armreifen bedeckt. An ihren Fingern steckten Ringe in allen möglichen Formen und Größen. Irgendwo an ihrem Körper schienen Glöckchen angebracht zu sein, die bei jeder Bewegung klingelten. Sie hatte sich einen perlenbesetzten Schal über die Schultern drapiert und eine Straußenfeder ins Haar gesteckt. »Übrigens«, fuhr sie fort, »das, was ihr die alte Frau, der sie am Fuße der Pyrenäen begegnet ist, erzählt hat, kann ich nur bestätigen.«
Auf diese Art von Unterhaltung war Sam im Augenblick nicht gerade erpicht. Trotzdem fragte er: »Was für eine alte Frau?«
»Die, die Gillian aus der Hand gelesen hat. Die, die ihr erzählt hat, dass sie die wahre Liebe zu einem unerwarteten Zeitpunkt und an einem unerwarteten Ort finden würde. Und da kann ich nur zustimmen.«
»Im Moment wäre ich glücklich, wenn ich sie an dem erwarteten Ort gefunden hätte. Ich dachte, sie wäre bei dir.«
»Das war sie. Dann kam eine Gruppe Kinder – sie waren wohl fast schon Teenager – und bat sie, mit ihnen durch den Irrgarten zu gehen. Sie ist erst vor ein paar Minuten weg, zusammen mit Max.« Minerva ließ sich nicht so leicht täuschen. »Du scheinst beunruhigt.«
»Das bin ich auch.« Seine Lippen wurden schmal. »Ich mag keine Labyrinthe oder Irrgärten oder wie sie sonst noch heißen mögen.«
Sie blickte ihn mit ihren braunen Augen über das Drahtgestell ihrer Brille hinweg an. »Der Unterschied zwischen einem Irrgarten und einem Labyrinth liegt im Konzept. Ein Labyrinth ist traditionell strukturiert und besteht aus Halbkreisen. Es soll einem den Weg zur spirituellen und physischen Mitte weisen. Ein Irrgarten ist gewissermaßen wie ein Rätsel konzipiert, mit der Intention, zu verwirren und zu täuschen.«
»Kann sein, dass ich sie deshalb nicht mag.« Es gab in seinem Leben schon genug Verwirrung und Täuschung. Da brauchte er sich nicht noch zusätzlich welche zu suchen.
»Es ist schon verständlich, dass manche Leute sie beunruhigend finden. Immerhin könnte man einen Irrgarten auch als Allegorie auf das Leben betrachten.«
Sam kannte Minerva. Er wusste, dass sie ihm – gefragt oder ungefragt – gleich erklären würde, wieso. »Inwiefern?«
»Einen Irrgarten könnte man als Angst vor der Zukunft deuten, als Angst vor Überraschungen, Angst vor dem, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet.«
»Als Angst davor, nicht zu wissen, wohin man steuert«, sagte er. Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar und atmete schwer aus.
»Genau.« Minerva sah ihn eine Weile prüfend an. »Aber heute Abend hast du die gleiche Angst wie ich, Sam.«
Er spannte sich an. »Und die wäre?«
Sie machte eine Bewegung, sodass die kleinen versteckten Glöckchen klingelten. »Irgendetwas stimmt heute Abend nicht. Ich spüre … Gefahr.«
Bei ihm schlug sofort die Alarmglocke an. »Gillian ist in Gefahr?«
Sie nickte. »Ich habe schon seit ein paar Wochen ein ganz ungutes Gefühl ihretwegen. So als wäre sie knapp entkommen. Als ich heute Morgen die Hexenbälle auf deiner Veranda aufhängte, habe ich ihr das auch gesagt.«
»Ich wünschte, du hättest mir das früher erzählt.«
Sie blickte ihn durchdringend an. »Ich denke, du hast die Dinge, die sich seit ihrer Ankunft in der Stadt ereignet haben, genau mitbekommen, Samuel Law.«
»Ja, habe ich.« Sie wechselten einen bedeutungsvollen Blick miteinander. »Wenn du Gillian siehst, sag ihr, sie soll sich nicht vom Fleck rühren, bis ich zurück bin.«
»Wo gehst du hin?«
Seine Gesichtszüge verhärteten sich. »Auf die Jagd.«
Kapitel 29
Wohin waren sie auf einmal alle verschwunden?
»Hallo? Ist da jemand? Max?«
In der einen Minute war ein halbes Dutzend aufgeregter, kreischender Zwölfjähriger direkt vor ihr noch durch den Irrgarten gestürmt, und in der nächsten hatten sie sich
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