Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
zu einer ausgedehnten Tournee aufbrach, für ein paar Tage im Waldorf Astoria abgestiegen -, und wir tranken dort gemeinsam unseren Nachmittagstee.
Edward war zwar höflich und charmant, aber distanziert. Wir unterhielten uns über Musik und über Kunst und über das Wetter, so wie Fremde das zu tun pflegen. Als er eine Stunde später wieder ging, schüttelten wir uns zum Abschied die Hand.« Annas Stimme verriet deutlich ihre Emotionen. »Ich habe ihn nie wieder gesehen.«
»Kein einziges Mal?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er war an keinen weiteren Verabredungen interessiert. Emily berichtete mir natürlich weiterhin und schickte mir Fotografien. Aber ich habe nie den Versuch unternommen, mit Edward noch einmal Kontakt aufzunehmen. Das war ein Teil unserer ursprünglichen Übereinkunft. So hatten wir drei es damals während des Krieges abgemacht.«
»Ich fange an zu verstehen«, sagte Gillian. »Du und mein Großvater, ihr hattet eine Affäre und …«
»Und aus dieser Affäre ist ein Baby hervorgegangen. Ein Junge. Ich war unverheiratet und schwanger. Emily hatte erfahren, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Deshalb entschlossen Jacob und Emily sich, deinen Vater zu adoptieren, was dank des Rechtsbeistands und der Diskretion von Bert Bagley auch ohne großes Aufheben gelang. Und ich kehrte zu meiner Musik und meiner Karriere zurück.«
»Du bist meine Großmutter.«
»Ich bin deine leibliche Großmutter. Ich käme nie auf den Gedanken, ich könnte Emilys Platz in deinem Herzen einnehmen. Ich hoffe einfach nur, wir können Freundinnen werden.«
Gillian blinzelte die Tränen weg, die ihr plötzlich in die Augen schossen. Sie umschloss die hagere alte Hand mit ihren Händen und drückte sie voller Zuneigung. »Wir sind bereits Freundinnen, Anna«, sagte sie mit belegter Stimme.
Er hatte zum Abendessen eine Verabredung.
Genauer gesagt, er hatte zwei Verabredungen. Er hatte Anna und Gillian in McGinty’s Pub zu Corned Beef auf Roggenbrot und als Nachtisch zu Hildas berühmter Kürbispie mit Schlagsahne eingeladen.
Als Sam die Stufen zur Haustür hinaufstieg, hörte er im Inneren des Hauses Musik – wunderbare, bewegende Musik. Es musste Gillian sein, die für Anna spielte. Mit ihrer schweren Arthritis würde Anna wohl kaum noch in der Lage dazu sein.
Er blieb auf der Veranda stehen und sah durchs Fenster. Die beiden Frauen saßen Seite an Seite am Flügel. Irgendetwas an ihren Händen weckte seine Aufmerksamkeit: Sie waren sich auffallend ähnlich und doch auch wieder vollkommen unterschiedlich; verständlich, die einen Hände waren alt, die anderen jung.
Er studierte das Profil der beiden Frauen. Die Ähnlichkeit bildete er sich nicht nur ein. Zwischen der schönen Frau von achtzig und der schönen Frau von dreißig bestand unverkennbar eine Ähnlichkeit.
Das war es also, was ihm bei der Skizze, die Doodles am Abend zuvor von Gillian angefertigt hatte, aufgefallen war. Sie hatte ihn an Anna erinnert, und zwar speziell an Fotos, die sie als junge Frau zeigten.
»Jetzt wird mir auch endlich klar, was du im Sinn hattest, Jacob. Vielleicht warst du ja alles in allem doch kein verrückter Hurensohn«, murmelte Sam. »Ich habe ja schon immer gesagt, dass deine Verrücktheiten System haben.«
Er stand da in der kühlen Herbstluft und lauschte.
Das war also der Grund, warum er Gillian nach Sweetheart geschickt hatte. Das war das letzte Geschenk ihres Großvaters für sie: eine Familie.
Kapitel 31
Sam fand sie genau dort, wo er sie vermutet hatte: draußen in seinem Garten auf der Mondbeobachtungsplattform. Sie saß – Max neben sich – mit hochgezogenen Beinen in einem der Gartenstühle und hatte, offensichtlich um sich zu wärmen, die Arme um sich geschlungen. Sie blickte zum Himmel hoch.
»Die Nacht ist sternenklar, und man sieht den Kleinen Wagen, genau wie du gesagt hast.«
»Hast du etwa daran gezweifelt?«, fragte er, immer noch stehend.
Gillian blickte zu ihm hoch. »Natürlich nicht. – Ach, übrigens, du hast heute von deinen Eltern eine Postkarte bekommen. Sie ist in Oshkosh, Wisconsin, abgestempelt. Sie wollen rechtzeitig zu Thanksgiving zurück sein.«
Sam legte den Kopf zurück und lachte schallend auf.
Ihre Augenbrauen gingen fragend hoch. »Was, um alles in der Welt, ist daran so lustig?«
»Du. Du liest meine Post. Du weißt doch, was das bedeutet, oder?«
»Nein, weiß ich nicht.«
»Sie sind zu einer echten Sweethearterin mutiert, Miss Charles. Sie sind jetzt eine
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