Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
in Palästen und Herrschaftshäusern gewohnt und in Zelten und Bruchbuden gelebt, die kaum als Dach über dem Kopf zu bezeichnen waren. Sie hatte die Welt und ihre Wunder gesehen, ihre Menschlichkeit und bisweilen auch ihre Unmenschlichkeit erlebt. Aber sie hatte nie wirklich begriffen, was das war zwischen Mann und Frau – bis heute.
Und jetzt hatte sie plötzlich einen Zipfel dieser anderen Welt erblickt: die Welt der Sinne, wo alles nur noch Geschmack, Berührung, Geruch und äußerstes Verlangen war; die Welt körperlicher Leidenschaft; und sie hatte erfahren, was sie aus einer Frau machen konnte, welche Gefühle sie in ihr erweckte: das Gefühl, verletzlich zu sein, das Gefühl, sich seiner selbst nicht sicher zu sein; sie kam sich naiv vor und ein bisschen verloren, ein bisschen töricht und sehr verrückt.
Sam entzog ihr seine Lippen und lehnte sich mit der Stirn gegen ihre Stirn. Sein Atem ging schnell wie der Atem eines Läufers nach einem Marathon. Seine Haut war mit einem Schweißfilm überzogen und verströmte einen moschusartigen Geruch, der sie anzog, als wären sie wilde Tiere in der Paarungszeit. Sein Körper war fest und muskulös, seine Erektion hart wie Stein.
»Ich muss verrückt sein«, murmelte er vor sich hin.
»Du bist verrückt«, pflichtete sie ihm bei.
Sein Lachen klang gedämpft. »Oh, danke schön.«
Ihr Herz raste, als sie schnell fortfuhr: »Ich bin auch verrückt. Dies hier ist verrückt.«
» Dies hier ist einfach ein Kuss zwischen einem Mann und einer Frau, die beide plötzlich merken, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen, und sich entsprechend verhalten. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas in der Geschichte der Menschheit passiert, und es wird auch nicht das letzte Mal sein.« Sams Stimme klang ungläubig, als er hinzufügte: »Himmel, was ist bloß schief gelaufen?«
»Schief?«
»Soll ich lieber sagen, was ist richtig gelaufen?« Ihm versagte fast die Stimme. »Ich habe keinen blassen Schimmer, was hier abgeht, du?«
Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie hatte auch keine Erklärung. »Und jetzt?« Sie musste die Frage einfach stellen.
Seine Augen funkelten wie schwarzes Eis. »Keine Ahnung.«
Sie zögerte nur kurz, bevor sie sagte: »Vielleicht überreagieren wir ja auch. Vielleicht ist es nicht das, was wir denken.«
Es dauerte eine Weile, bevor Sam antwortete. »Denken? Ich denke im Augenblick überhaupt nicht, und ich will es auch nicht.« Etwas wie Neugier, aber auch etwas, das über bloße Neugier hinausging, sprach aus seinen scharf gezeichneten Gesichtszügen, als er angestrengt Luft holte und sagte: »Komm her.«
Er hatte sie nicht mehr alle beisammen. Er war ein Masochist. Er forderte die Schwierigkeiten geradezu heraus. Ach was, er steckte bereits mittendrin. Mitten in einem gewaltigen Schlamassel. Er war ein Mann, der gerade entdeckt hatte, dass ihn das Küssen einer Frau – gut, dieser ganz speziellen Frau – an den Rand eines Abgrunds bringen konnte. Es war jener gefährliche Abgrund, vor dem sie ihn zuvor gewarnt hatte. Der Abgrund, dem er mehr Aufmerksamkeit hätte schenken sollen, schenken müssen.
Er hatte Gillian versprochen, es würde keine Komplikationen geben, keine Verwicklungen, kein Durcheinander. Sie würden nur tanzen, nicht mehr und nicht weniger. Es hatte so unschuldig geklungen.
Er hatte gelogen. Nicht absichtlich. Und er hatte nicht sie belogen, sondern sich selbst. Die Wahrheit war, dass sie sich in unbekanntes Gebiet vorgewagt hatten. Aber die Drachen waren im Endeffekt noch das geringste Problem. Die Gefahr lauerte überall.
Wie konnte er von einem Kuss sexuell so erregt werden? Oder auch von zweien? Oder von hundert gottverdammten Küssen? Es war gewiss nicht seine Gewohnheit, nach einer gemeinhin als unverbindlich betrachteten Berührung mit einer Erektion herumzulaufen – noch dazu mit einer, die so schmerzhaft und drängend war.
Sicher, vielleicht war er damals in der High School ein Heißsporn gewesen. Aber das lag Millionen Jahre zurück, als er noch ein von Hormonen getriebener Teenager war. Jetzt war er ein reifer Mann von fünfunddreißig Jahren, und so etwas passierte ihm nicht mehr.
O ja, Kumpel. Da hast du dich wohl verschätzt.
Das war nicht er. Das war nicht Gillian. Das war die Mischung aus ihnen beiden. Sie waren doch absolute Gegensätze, einfach grundverschieden – wie Äpfel und Orangen, Öl und Wasser. Doch die Mischung passte zu gut zusammen. Sie mochten den gegenseitigen Geschmack und
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