Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
anderem Holz geschnitzt. Ihrem wachsamen Auge schien nichts zu entgehen. »Wenn Ihnen zu warm war, warum haben Sie dann Sams Jackett an?«
Eingedenk ihrer Erfahrungen mit Truman Hart versuchte Gillian diesmal so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben. »Mir war zu warm. In der frischen Nachtluft wurde es mir dann allerdings bald zu kühl. Sam war mein Retter in der Not.«
»Das kann ich sehr gut verstehen«, meldete sich Minerva zu Wort.
»Also dann, das Fest ist wieder einmal vorbei, und es wird Zeit, dass wir uns alle nach Hause in unsere Betten begeben«, sagte Sam freiheraus, ohne mit der Wimper zu zucken. »Darf ich die Damen zu ihren Autos begleiten?«
Ein paar Minuten später kletterten sie, nachdem sie Minerva und Goldie verabschiedet und ihnen eine gute Nacht gewünscht hatten, in Sams Geländewagen. Auf der kurzen Fahrt nach Hause sprach Sam kein Wort. Gillian auch nicht.
Immer noch in das Jackett seines grauen Nadelstreifenanzugs gehüllt, saß sie auf dem Beifahrersitz neben ihm und zermarterte sich das Gehirn, um irgendetwas Kluges, Witziges und Geistreiches zu sagen.
Ihr Kopf war absolut leer.
Sam brachte sie bis zur Veranda vor dem Haus.
»Oh, bevor ich es vergesse«, sagte sie und machte sich daran, sein Jackett auszuziehen. Dabei rollten sich die aufgekrempelten Ärmel herunter und hingen ihr schließlich bis weit über die Fingerspitzen.
Er ließ die Gelegenheit ungenutzt vorübergehen und wehrte mit der Hand ab, als handle es sich um ein lästiges Insekt. »Du musst mir das Jackett ja nicht jetzt gleich zurückgeben. Ich komme in den nächsten Tagen einfach mal vorbei und hole es mir ab.«
Gillian suchte in ihrer Handtasche nach dem Hausschlüssel, fand ihn und steckte ihn ins Schloss. Dann drehte sie sich noch einmal kurz um. »Sam, wegen heute Abend …«
Er biss die Zähne zusammen. »Ich weiß.«
Sie wusste nicht, was sie ihm sagen sollte; wusste nicht, was sie von ihm gern hören wollte.
Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Wir waren uns ja einig: keine Komplikationen, keine Verwicklungen, kein Durcheinander.«
»Ja, so ist es.«
»Und was uns da vorhin im Park widerfahren ist – ich bin sicher, wir können damit irgendwie sachlich umgehen. Wir sind ja schließlich beide erwachsen.«
»Ja, natürlich.«
»Wir haben uns geküsst. Wir haben ein bisschen herumgefummelt.« Er lachte gezwungen. »Zum Teufel, wir haben uns von der Situation eben hinreißen lassen und sind ein wenig in Fahrt gekommen.«
Beziehungsweise sehr.
»Alles nicht der Rede wert«, sagte er.
»Nein, alles nicht der Rede wert«, echote sie. Doch warum fühlte sie sich dann plötzlich so niedergeschlagen, geradezu enttäuscht?
Gillian griff hinter sich zum Türknauf. Ihre Hände lagen wie Eis auf dem Messing. »Dann gute Nacht, Sam.«
Er stand da und beobachtete sie mit einem Blick, den sie nicht zu deuten wusste. »Gute Nacht, Gillian.«
Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging davon.
Kapitel 19
»Sie sehen furchtbar angegriffen aus, Miss Rogozinski.«
»Ich bin müde«, gestand Anna ihrer Betreuerin.
Sie war erschöpft. Ereignisse wie das jährliche Gemeindefest wurden langsam zu viel für sie. Der ganze Trubel und die laute Musik. Die vielen Leute, ihr Gelächter, das Stimmengewirr, die Esserei und Trinkerei, die hellen Lichter, der an- und abfahrende Verkehr auf der Main Street mit den grellen Scheinwerfern, dazu das Gehupe, das alles war für sie nur schwer zu ertragen.
Du hast dich noch nie selbst belogen, Anna. Also fang jetzt nicht damit an. Es war das Mädchen. Du warst einfach nicht darauf gefasst, dass die Begegnung und das Gespräch mit ihr dir so zusetzen würden.
Esther Preston stand abwartend in der Tür zu Annas Schlafzimmer. Sie war sehr umsichtig und äußerst besorgt um Anna, und Anna wusste das auch. Wenn sie sich nachmittags zu dem von ihrem Arzt empfohlenen Mittagsschläfchen hinlegte und gegenüber ihrer Haushälterin nur so tat, als schliefe sie, hatte sie mehr als einmal mit angehört, wie Esther das Telefon abnahm und den Anrufer beschied: »Die gnädige Frau schläft gerade. Kann sie Sie zurückrufen?«
Die Frau wartete in respektvollem Abstand von ihr. »Möchten Sie, dass ich Ihnen den Schmuck abnehme?«
»Ich könnte heute Abend ein bisschen Hilfe gebrauchen.« Anna ließ sich auf die Truhe aus Zedernholz am Fuße ihres Bettes sinken.
Sie blickte auf ihre Hände in ihrem Schoß. Die Haut auf den Handrücken schien dünn wie Papier und war mit
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