Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
Altersflecken übersät. Die Finger waren knochig und krumm, die Gelenke arthritisch verformt. Die Nägel waren kurz geschnitten und gepflegt. Darauf hatte sie als Konzertpianistin immer besonderen Wert gelegt.
Dies sind nicht mehr meine Hände, die Hände einer Konzertpianistin, dachte Anna. Es sind die Hände einer alten Frau.
Wo waren bloß ihre Hände geblieben?
Sie war bei Musikkritikern und auch in der übrigen Branche für ihre wunderschönen Hände berühmt gewesen.
Miss Rogozinskis Hände mit den langen, eleganten Fingern bilden mit den Elfenbeintasten eines Steinway-Flügels eine perfekte Einheit. Und wenn die Dame auch wie ein Engel aussehen mag, sie spielt mit der Wildheit und der Inbrunst einer Virtuosin.
»Miss Rogozinski, geht es Ihnen gut?«
Anna zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren. »Meine Hände scheinen heute Abend wirklich besonders steif zu sein.«
Ihre Gesellschafterin schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Es ist nicht gut für Sie, in der kühlen Nachtluft draußen zu sitzen. Das ist Gift für den Körper, vor allem wenn man älter ist und mit Arthritis zu tun hat.«
Esther wusste fast alles, was man über die Gebrechen älterer Leute wissen musste. Bevor sie als Haushälterin angestellt worden war, hatte sie sich um ihre Eltern, ihre Großeltern und sogar um einige ältere Tanten und Onkel während deren letzter – wenn auch nicht bester – Lebensjahre gekümmert.
»Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen nachher, wenn Sie bettfertig sind, etwas von der Spezialsalbe in die Hände massieren, die Ihnen der Arzt verschrieben hat«, schlug sie vor, während sie Annas Nachtgewand so bereitlegte, wie Anna es gern hatte.
»Das wird sicher helfen. Danke.«
»Zuerst die Ohrringe?«
Anna nickte.
Esther nahm ihr nacheinander vorsichtig die beiden Saphirohrringe ab und legte sie auf die Frisierkommode. Dann kam die dazu passende Saphirhalskette an die Reihe und schließlich noch der Brillantring.
»Das sind wirklich schöne Stücke«, sagte sie. »Ich hatte auch mal Brillantschmuck. Aber die Steine haben sich gelockert. Ich habe sogar ein oder zwei verloren. Deshalb habe ich sie schließlich zur Sicherheit beiseite gelegt. Bei besonderen Gelegenheiten, oder wenn mir schwer ums Herz ist, hole ich sie mir immer noch hervor. Schöne Dinge anzusehen heitert mich unwahrscheinlich auf.« Die mit beiden Beinen im Leben stehende, nüchterne Frau richtete sich auf und drängte: »Ach, erzählen Sie mir doch noch einmal von Ihrem Schmuck.«
Sie äußerte diese Bitte nicht zum ersten Mal. Es war wie ein Ritual: Esther fragte nach, und Anna erzählte ihr ihre Geschichten, und beide Frauen hatten ein großes Vergnügen dabei.
»Die Ohrringe und die Kette waren das Geschenk eines italienischen Conte , der mich in Venedig hatte spielen hören«, erinnerte sich Anna und ließ sich von den Gedanken an die Vergangenheit forttragen. »Er nannte meine Musik magnifico und kam einen Monat lang jeden Abend, um mich spielen zu hören.«
»Man stelle sich das mal vor«, sagte Esther voller Bewunderung und schüttelte den Kopf, während sie sich hinunterbeugte, um Anna die Schuhe auszuziehen.
»Der Ring wurde mir von einem Maharadscha geschenkt als Dank dafür, dass ich mich bereit erklärt hatte, ihm eine Privatvorstellung in seinem Sommerpalast zu geben. Diesen Abend werde ich nie vergessen. Er kam nach dem Konzert auf die Bühne, neigte unmerklich sein königliches Haupt und überreichte mir in Anerkennung meiner Leistung und als Dank für das Vergnügen, das ich ihm und seinen Gästen mit meiner Musik bereitet hätte, ein ›winziges Glitzersteinchen‹, wie er es nannte.«
Wer außer einem Maharadscha würde schon einen lupenreinen fünfkarätigen Diamanten als »Glitzersteinchen« bezeichnen?
»Die Steine, die ich verloren habe, waren nicht einmal halb so groß wie der Stein an Ihrem Ring«, sagte die Haushälterin, während sie Annas Kleid in den Schrank hängte.
Es war nur eine schlichte Feststellung. In ihrer Stimme schwang keinerlei Neid mit, obwohl Anna den Verdacht hatte, dass Esthers Schmuck eher mit Strass oder Bergkristallen als mit echten Diamanten besetzt war. Aber das tat der Freude, die die beiden Frauen gleichermaßen an ihrem »Glitzerschmuck« hatten, keinerlei Abbruch. Eine der kleinen ironischen Fügungen des Lebens.
Esther warf Annas Unterwäsche in den Beutel für die schmutzige Wäsche und fragte: »Und wo befand sich der Palast des Maharadschas?«
»In der Nähe von
Weitere Kostenlose Bücher