Küss mich, wenn Du kannst
finden.«
Als er nach Hause kam, ging er zur Kommode im Schlafzimmer und nahm die verschmierte Einladungskarte aus einem Schubfach. Die verwahrte er zur Erinnerung an den schmerzhaften, herzzerreißenden Moment auf, als er das Kuvert geöffnet hatte. Damals war er dreiundzwanzig gewesen.
Sie sind herzlich eingeladen zur
Hochzeit von Julie Arnes Shelton
und
Heath D. Campione
Zur Silberhochzeit von Victoria und Douglas Pierce Shelton III
und
Zur Goldenen Hochzeit von Mildred und Douglas Pierce Shelton II
Valentinstag
18 Uhr
The Manor , East Hampton, New York
Die Organisatoren der Hochzeit hatten ihm die Einladung versehentlich geschickt, ohne zu ahnen, dass er der Bräutigam war. Das sprach Bände. Zum ersten Mal erkannte er, was diese Heirat bedeutete - sie war nur ein Rädchen im gut geölten Getriebe der Familie Shelton. Alles, was ihm ein Gefühl der Sicherheit gegeben hatte, löste sich in nichts auf. Natürlich war es zu schön gewesen, um wahr zu sein, dass Julie Shelton einen jungen Mann liebte, der Klärbehälter reinigte, um sein Jurastudium zu verdienen.
»Warum regst du dich so auf?«, fragte sie, als er sie zur Rede stellte. »Dieses Datum hat sich einfach ergeben. Eigentlich müsstest du dich freuen, weil wir unsere Traditionen fortsetzen. Meiner Familie bringt es Glück, am Valentinstag zu heiraten.«
»Das ist nicht irgendein Valentinstag«, wandte er ein. »Goldene und silberne Hochzeit... Wo hättest du einen Bräutigam hergenommen, wenn ich nicht planmäßig auf der Bildfläche erschienen wäre?«
»Aber du bist nun mal da gewesen. Darin sehe ich kein Problem.«
Er flehte sie inständig an, das Datum zu ändern, doch sie weigerte sich.
»Wenn du mich liebst, solltest du dich nach meinen Wünschen richten.«
O ja, er liebte sie - während sie ihn nur aus praktischen Gründen zu schätzen wusste, was er nach mehreren schlaflosen Nächten erkannte.
Bei der Hochzeit fungierte ein Freund, den Julie seit ihrer frühen Jugend kannte, als Valentinstagsbräutigam in der dritten Generation. Um seinen Kummer zu verwinden, brauchte Heath ein paar Monate. Zwei Jahre später ließ sich das Paar scheiden und bereitete der Familientradition der Sheltons ein trauriges Ende. Trotzdem hatte er keine Genugtuung empfunden.
Julie war nicht der erste Mensch gewesen, dem er sein Herz geschenkt hatte. In seiner Kindheit hatte er alle Leute geliebt, angefangen mit seinem trunksüchtigen Vater. Danach vergötterte er sämtliche Frauen, die der Alte nach Hause brachte. Eine nach der anderen stieg in den verbeulten Wohnwagen. Bei jeder erwartete Heath, sie wäre die Richtige, ihm die verstorbene Mutter zu ersetzen.
Mit den Frauen klappte es nicht. Deshalb liebte er streunende Hunde, die auf dem nahen Highway überfahren wurden; die alte Hexe im benachbarten Wohnwagen, die ihn anschrie, wenn sein Ball zu dicht bei ihrem winzigen, in einem Traktorreifen grünenden Garten landete; seine Schullehrer, die eigene Kinder hatten und kein weiteres wollten.
Doch es war die bittere Erfahrung mit Julie, nach der er die wichtige Lektion gelernt hatte, die er niemals vergessen würde. Um sein emotionales Überleben zu sichern, durfte er sich nicht verlieben.
Eines Tages, so hoffte er, würde sich das ändern. Er würde seine Kinder lieben, das stand verdammt noch mal fest. So wie er sollten sie nicht aufwachsen. Und seine Ehefrau... Das würde eine Weile dauern. Aber sobald er darauf vertrauen konnte, dass sie bei ihm bliebe, wollte er’s versuchen. Vorerst plante er seine Brautschau genauso sachlich wie seine Geschäfte. Deshalb hatte er die beste Heiratsvermittlerin von Chicago engagiert. Aus demselben Grund musste er Annabelle Granger loswerden.
Um das zu erledigen, betrat er knapp vierundzwanzig Stunden später das Sienna‘s, sein Lieblingslokal. Annabelle hatte deutlich genug bewiesen, dass sie nur Mist baute, deshalb verschwendete er an diesem Abend bedauerlicherweise seine kostbare Zeit.
Auf dem Weg zu seinem Stammtisch in der hinteren Ecke der gut beleuchteten Bar begrüßte er Carlo, den Besitzer, mit einer italienischen Floskel. Diese Sprache hatte Heath am College gelernt, nicht von seinem Vater, der nur zu einer einzigen Ausdrucksweise fähig gewesen war - zu kaum verständlichem Lallen. Emphyseme und eine Leberzirrhose hatten den alten Mann dahingerafft, als sein Sohn zwanzig gewesen war. Bis jetzt hatte Heath ihm keine Träne nachgeweint.
Er telefonierte kurz mit Caleb Crenshaw, einem Angriffsspieler
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