Küss mich wie damals
aus.
„Morgen um zwei Uhr“, sagte er. „Ich werde pünktlich sein.“
Sie nickte, ging zur Haustür und schritt an dem ihr öffnenden Butler vorbei ins Entrée. Ohne darauf zu warten, dass er ihr die Malsachen abnahm, eilte sie in ihr Ankleidezimmer, blieb stehen und starrte den Skizzenblock an. Sein Anblick beruhigte sie mehr, als irgendetwas anderes das vermocht hätte. Die Zeichnung, die sie gemacht hatte, gab schlicht und einfach das ärmliche Leben der bedauernswerten Leute auf dem Markt wieder und ihren Kampf um den Lebensunterhalt. Sie wünschte sich, mehr für diese Menschen tun zu können. Aber vielleicht war dieser Gedanke ungeheuer herablassend, denn wie konnte jemand wie sie, der im Luxus lebte, die Probleme dieser Leute verstehen? Sie sollte sich besser darauf konzentrieren, den Waisenkindern zu helfen, und sich nicht selbst bemitleiden. Sie hatte keinen Grund, sich elend zu fühlen.
Sie hörte jemanden den Türklopfer betätigen und legte ihren Hut und die Pelisse ab, bevor sie den Raum verließ, um über das Treppengeländer zu lugen. Der Butler begrüßte soeben Mrs. Butterworth, Lady Graham und Mrs. Harcourt. Lächelnd ging Frances zu ihnen.
Man speiste zusammen und zog dann ein Resümee des vergangenen Abends. Die Einnahmen wurden zusammengerechnet, und man diskutierte die Aussichten, die man hatte, um für die Kinder eine neue Unterkunft zu finden. Es war schwieriger als zunächst gedacht, ein Objekt zu dem Preis zu bekommen, den man sich vorstellte.
Mrs. Butterworth meinte, man müsse mehr solche Veranstaltungen geben wie den Ball, insbesondere wenn es gelingen sollte, so großzügige Gönner wie den Duke of Loscoe zu bewegen, zumindest einen Teil der Kosten zu übernehmen.
„Ja, er ist sehr freigebig“, sagte Mrs. Harcourt. „Allerdings wundere ich mich über sein Interesse an den Kindern anderer Leute, da er seine eigenen nie zur Kenntnis genommen hat.“
„Wie können Sie so etwas äußern?“, warf Lady Graham ein. „Er hat seine Tochter hergebracht. Sie haben sie in der letzten Woche bei Lady Willoughby kennengelernt und selbst gesehen, wie sehr er auf sie Acht gegeben hat.“
„Das ist alles gut und schön, aber längst zu spät. Ich war auf Einladung Ihrer Gnaden in Loscoe Court, und sie hat mir gegenüber durchblicken lassen, dass ihr Gemahl seine Kinder kaum sieht und sie wahrscheinlich auf der Straße nicht erkennen würde, wenn sie sich dort zufällig begegneten.“
„Nun, das kann ich mir nicht vorstellen“, entgegnete Lady Graham, der die Ironie entgangen war. „Alle haben diesen spitz in die Stirn gezogenen Haaransatz und so hoch gewölbte Brauen, dass man den Eindruck gewinnt, sie kämen aus dem Staunen nicht heraus.“
„Staunen?“
„Ja, Sie wissen, was ich meine. Sehr hoch angesetzte und ausgeprägte Augenbrauen.“
„Und was hat das zu besagen?“
„Nun, Seine Gnaden müsste seine Kinder daran erkennen.“ Lady Graham lachte. „Hoffentlich hat er sich keinen Fehltritt geleistet, denn man würde jedem seiner Sprösslinge sofort die Abstammung ansehen.“
Frances wollte unbedingt das Thema wechseln. Dieses Gerede über den Duke of Loscoe machte sie reizbar. „Ich finde, meine Damen, dass wir nicht in einer solchen Weise über Seine Gnaden reden sollten, nachdem er so großzügig war.“
„Ganz recht“, warf Mrs. Butterworth ein. „Ich habe ihn stets sehr aufmerksam und höflich gefunden und kann nicht glauben, dass er kein hingebungsvoller Vater sein soll.“ Sie wandte sich der Countess of Corringham zu und fragte: „Meinen Sie das nicht auch, Lady Frances? Sie haben ihn öfter gesehen als wir. Er bringt doch seine Tochter zum Zeichenunterricht zu Ihnen, nicht wahr?“
Frances fühlte sich noch unbehaglicher. „Ja“, antwortete sie vorsichtig und dachte an Sir Percivals Äußerung, die Klatschmäuler würden behaupten, Marcus brächte seine Tochter nur zu ihr, um sie besuchen zu können. Es lag ihr fern, dieses Gerücht auch noch zu nähren. „Ja, er bringt Lady Lavinia her, bleibt aber nicht da. Sie wird von ihm abgeholt, wenn der Unterricht beendet ist.“
„Und wie wirkt er auf Sie?“
Frances überlegte, was sie darauf antworten solle. Sie konnte erwidern, er sei ein Scheusal, das immer noch Macht über sie hatte, obwohl sie behauptete, ihn zu hassen. Sie konnte sagen, er sei eingebildet, anmaßend und überheblich und erwarte, dass alle Leute sich ihm fügten, weil er der Duke of Loscoe war. Sie konnte äußern, er sei ein
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