Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)
anderer Meinung sein.
«Und nun brauchen wir uns nicht mehr so sehr zu beeilen», fuhr er fort. «Das ist auch ganz gut. Wir würden Sie gleich in den Operationssaal fahren, natürlich mitsamt der Maschine, die ja nicht aufhören darf zu pumpen. Das nächste Problem …»
«Schon gut», unterbrach ich ihn. «Das genügt. Weitere Einzelheiten brauche ich nicht zu hören.»
«O doch», erwiderte er. «Ich muss Sie unbedingt bis ins Kleinste über die ganze Prozedur informieren. Denn, sehen Sie, wenn Sie nachher das Bewusstsein wiedererlangen, wird es für Sie doch viel angenehmer sein, genau zu wissen, wo Sie sich befinden, und wie Sie dorthin gekommen sind. Sie müssen mich anhören, und sei es auch nur zu Ihrer eigenen Beruhigung. Einverstanden?»
Ich schaute ihn an, ohne mich zu rühren.
«Das nächste Problem wäre also, Ihr Gehirn intakt und unbeschädigt von Ihrem toten Körper zu trennen. Den Körper brauchen wir nicht. Bei dem hat der Verfall nämlich schon eingesetzt. Schädel und Gesicht sind also nutzlos, ja hinderliche Dinge, die beseitigt werden müssen. Ich will nur das Gehirn haben, das schöne saubere Gehirn, lebend und unversehrt. Wenn Sie auf dem Operationstisch liegen, werde ich darangehen, mit Hilfe einer Säge, einer kleinen, biegsamen Säge, Ihre Schädelkapsel zu entfernen. Da Sie noch immer bewusstlos sind, brauche ich kein Betäubungsmittel anzuwenden.»
«Das kommt überhaupt nicht infrage», widersprach ich.
«Sie werden nichts spüren, William, ich schwöre es Ihnen. Vergessen Sie nicht, dass Sie kurz zuvor gestorben sind.»
«Ohne Betäubungsmittel darf niemand meinen Schädel aufsägen», erklärte ich. Landy zuckte die Achseln. «Mir ist das egal. Wenn Sie es wünschen, gebe ich Ihnen mit Vergnügen etwas Procain. Ich kann sogar Ihren ganzen Kopf, vom Hals aufwärts, in Procain tränken, falls Sie das glücklicher macht.»
«Herzlichen Dank», sagte ich.
«Wissen Sie», fuhr er fort, «manchmal passieren merkwürdige Sachen. Erst vorige Woche brachte man mir einen bewusstlosen Mann; ich öffnete seinen Kopf ohne jedes Betäubungsmittel und operierte ein Blutklümpchen heraus. Ich war noch bei der Arbeit, als er aufwachte und anfing zu reden.
‹Wo bin ich?›, fragte er.
‹Im Krankenhaus.›
‹Nanu›, rief er, ‹ist denn das die Möglichkeit?›
‹Sagen Sie›, fragte ich ihn, ‹belästigt Sie das, was ich da mache?›
‹Nein›, antwortete er. ‹Nicht im Geringsten. Was machen Sie denn überhaupt?›
‹Ich bin gerade dabei, ein Blutklümpchen aus Ihrem Gehirn zu nehmen.›
‹Ist das wahr?›
‹Liegen Sie still. Bewegen Sie sich nicht. Ich bin gleich fertig.›
‹Dann war’s wohl dieses Biest, das mir all die Kopfschmerzen gemacht hat›, sagte er.»
Landy schwieg einen Augenblick und dachte lächelnd an sein Erlebnis zurück.
«Ja, das hat der Mann wörtlich gesagt», begann er von neuem. «Am nächsten Tag aber konnte er sich nicht mehr an den Vorfall erinnern. Seltsames Ding, das Gehirn.»
«Ich will Procain haben», beharrte ich.
«Wie Sie wünschen, William. Kurz und gut, ich werde also eine kleine, biegsame Säge nehmen und sorgfältig Ihr Calvarium entfernen – das gesamte Schädeldach. Dadurch wird die obere Hälfte des Gehirns freigelegt, richtiger gesagt, seine Umhüllung. Sie wissen – oder auch nicht –, dass das Gehirn von drei einzelnen Häuten umgeben ist. Die äußere heißt Dura Mater oder Dura, die mittlere Arachnoidea und die innere Pia Mater oder Pia. Die meisten Laien bilden sich ein, das Gehirn sei ein nacktes Ding, das in einer Flüssigkeit im Kopf schwimmt. Dem ist nicht so. Es ist hübsch sauber in diese drei starken Hüllen verpackt, und die Hirnrückenmarkflüssigkeit befindet sich in dem kleinen Zwischenraum zwischen den beiden inneren Hüllen, dem sogenannten Subarachnoidalraum. Wie ich schon sagte, wird diese Flüssigkeit vom Gehirn hergestellt und durch Osmose in das venöse System geleitet.
Alle drei Hüllen – haben sie nicht hübsche Namen, die Dura, die Arachnoidea, die Pia? – lasse ich unberührt. Aus vielen Gründen, nicht zuletzt deshalb, weil sich in der Dura die venösen Kanäle befinden, die das Blut vom Gehirn in die Jugularvenen ableiten.
Nun haben wir also die Schädelkalotte entfernt, sodass der obere Teil des Gehirns mit den Hirnhäuten sichtbar wird. Der nächste, ziemlich schwierige Schritt ist, das ganze Paket loszulösen, damit man es unversehrt herausnehmen und die Stümpfe der vier Arterien
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