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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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Zigarette und war anscheinend ganz ruhig und heiter.
    «Ja, gern.»
    Auf ihrem Weg zur Tür machte sie am Tisch halt und beugte sich noch einmal über die Schale. «Mary geht jetzt, mein Herzchen», sagte sie. «Und rege dich über nichts auf, verstehst du? Wir werden dich so bald wie möglich nach Hause bringen, wo wir gut für dich sorgen können. Und höre, Lieber …» Sie unterbrach sich, um an der Zigarette zu ziehen.
    Sofort blitzte das Auge auf.
    Sie blickte es scharf an. Genau im Zentrum des Auges glomm ein kleines, aber helles Fünkchen, und die Pupille verengte sich in jäher Wut zu einem winzigen schwarzen Punkt.
    Regungslos über die Schale gebeugt, die Zigarette an den Lippen, beobachtete sie das Auge.
    Nach einer Weile nahm sie sehr langsam und bedächtig die Zigarette in den Mund, tat einen langen Zug und inhalierte tief. Der Rauch blieb drei oder vier Sekunden in den Lungen, und dann, plötzlich, kam er in zwei dünnen Streifen aus den Nasenlöchern, strich über die Flüssigkeit in der Schale, ballte sich zu einer dicken blauen Wolke und hüllte das Auge ein.
    Landy, mit dem Rücken zu ihr, stand an der Tür und wartete. «Kommen Sie, Mrs.   Pearl», rief er.
    «Sieh mich nicht so verdrießlich an, William», sagte sie leise. «Das hat gar keinen Zweck.»
    Landy wandte den Kopf, um zu sehen, was sie machte.
    «Überhaupt keinen Zweck», flüsterte sie. «Denn von jetzt an, mein Liebling, wirst du genau das tun, was Mary will. Hast du verstanden?»
    «Mrs.   Pearl», mahnte Landy, auf sie zugehend.
    «Sei also nie wieder so ein unartiger Junge, mein Schatz», sagte sie und sog von neuem an ihrer Zigarette. «Unartige Jungen werden heutzutage sehr streng bestraft, musst du wissen.»
    Landy nahm sie beim Arm und drängte sie sanft, aber energisch zur Tür.
    «Leb wohl, Liebling», rief sie. «Bald komme ich wieder.»
    «Genug, Mrs.   Pearl.»
    «Ist er nicht süß?» Sie schaute mit großen, leuchtenden Augen zu Landy auf. «Ist er nicht entzückend? Ich kann es gar nicht erwarten, bis ich ihn mitnehmen darf.»

Der Weg zum Himmel
    Zeit ihres Lebens hatte Mrs.   Foster an einer geradezu pathologischen Angst gelitten, einen Zug, ein Flugzeug, ein Schiff oder den Beginn einer Theatervorstellung zu verpassen. Im Allgemeinen war sie gar nicht besonders nervös, aber der bloße Gedanke, sie könnte sich bei solchen Anlässen verspäten, setzte ihr derart zu, dass sie Zuckungen bekam. Es war nicht schlimm – nur eine kleine Muskelreizung im Winkel des linken Auges, wie ein verstohlenes Blinzeln –, doch das Unangenehme war, dass dieser Tic noch mindestens eine Stunde lang anhielt, wenn sie den Zug, das Flugzeug, oder was es nun war, glücklich erreicht hatte.
    Merkwürdig, wie sich bei gewissen Leuten eine einfache Besorgnis, zum Beispiel die, den Zug nicht mehr zu erreichen, zu einer Besessenheit auswachsen kann. Spätestens eine halbe Stunde bevor es Zeit war, zum Bahnhof zu fahren, pflegte Mrs.   Foster reisefertig, angetan mit Hut, Mantel und Handschuhen, aus dem Aufzug zu treten. Unfähig, sich hinzusetzen, lief sie ziellos von einem Zimmer ins andere, bis ihr Mann, dem ihre Aufregung nicht entgangen sein konnte, endlich zum Vorschein kam und trocken bemerkte, man könne jetzt vielleicht aufbrechen, nicht wahr?
    Mr.   Foster war durchaus berechtigt, sich über das närrische Benehmen seiner Frau zu ärgern, nicht aber dazu, ihre Qualen zu vergrößern, indem er sie unnötig warten ließ. Dass er das tat, ist zwar durch nichts bewiesen, doch sooft sie zusammen irgendwohin wollten, erschien er unweigerlich im letzten oder vielmehr im allerletzten Moment und benahm sich dabei so betont freundlich, dass die Vermutung sehr nahe lag, er habe seiner unglückseligen Frau ganz bewusst eine boshafte kleine Privatqual auferlegt. Eines jedenfalls musste ihm klar sein: Sie hätte niemals gewagt, nach ihm zu rufen oder ihn zur Eile anzutreiben. Dazu hatte er sie zu gut erzogen. Und er wusste auch, dass er nur ein klein wenig zu lange zu zögern brauchte, um sie in einen Zustand zu versetzen, der hart an Hysterie grenzte. Bei ein oder zwei besonderen Gelegenheiten in ihren späteren Ehejahren sah es fast so aus, als hätte er den Zug verpassen wollen , um die Leiden der armen Frau zu verschlimmern.
    Genau kann man es ja nicht wissen, aber nimmt man an, dass er schuldig war, so wird sein Verhalten doppelt verwerflich durch die Tatsache, dass ihm Mrs.   Foster, abgesehen von dieser einen kleinen Schwäche,

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