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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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H. S. Olcott (dem angesehenen amerikanischen Juristen, alias Ashoka Vardhana, König von Indien) die Theosophische Gesellschaft gegründet hatte. Wessen Seele in Madame Blavatsky wiederverkörpert war, stand nicht da. Aber von Theodore Roosevelt hieß es: ‹Er hat in vielen Inkarnationen eine bedeutende Führerrolle gespielt … Von ihm stammte das Königsgeschlecht des alten Chaldäa ab, denn er wurde um 30   000   v.   Chr. zum Herrscher über Chaldäa ausersehen, und zwar von dem Ego, das wir als Cäsar kennen und das damals König von Persien war … Roosevelt und Cäsar sind immer wieder als militärische Führer und Regenten zusammengetroffen, und einmal, vor vielen Jahrtausenden, waren sie Mann und Frau …›
    Das reichte Louisa. Mr.   F. Milton Willis war offensichtlich ein Phantast. Seine dogmatischen Behauptungen beeindruckten sie nicht im Geringsten. Vielleicht befand sich der Bursche auf der richtigen Spur, aber seine Thesen waren viel zu verstiegen, um glaubhaft zu sein, besonders jene erste über die Tiere. Louisa hoffte, es werde ihr bald gelingen, die ganze Theosophische Gesellschaft durch den Nachweis zu verwirren, dass ein Mensch tatsächlich als niederes Tier wiedergeboren werden konnte und dass man kein ungelernter Arbeiter zu sein brauchte, um innerhalb von hundert Jahren zurückzukehren.
    Sie schlug nun eine der Biographien von Liszt auf, und während sie darin blätterte, kam ihr Mann ins Zimmer.
    «Was machst du denn da?», fragte er.
    «Ach, ich suche nur so ein bisschen herum. Hör mal, Lieber, hast du gewusst, dass Theodore Roosevelt einmal Cäsars Frau war?»
    «Louisa», sagte er, «was soll denn dieser Unsinn? Du benimmst dich ausgesprochen närrisch, und das gefällt mir gar nicht. Gib mir die verwünschte Katze, ich bringe sie selbst zur Polizei.»
    Louisa antwortete nicht. Sie starrte mit offenem Mund auf ein Bild von Liszt, das sie in dem Buch gefunden hatte.
    «Mein Gott!», rief sie. «Edward, sieh nur!»
    «Was?»
    «Da! Die Warzen! Die hatte ich ganz vergessen. Er hatte große Warzen im Gesicht und war dafür berühmt. Seine Schüler ließen sich sogar kleine Haarbüschel an den gleichen Stellen stehen, um ihm zu ähneln.»
    «Was haben die damit zu tun?»
    «Nichts. Ich meine, die Schüler haben nichts damit zu tun. Aber die Warzen.»
    «O Himmel», stöhnte der Mann. «O du allmächtiger Gott.»
    «Die Katze hat sie auch! Warte, ich zeige sie dir.» Sie nahm das Tier auf den Schoß und fing an, sein Gesicht zu untersuchen. «Hier! Hier ist eine! Und da noch eine! Augenblick mal, ich glaube, sie sitzen an den gleichen Stellen! Wo ist das Bild?»
    Es war ein berühmtes Altersporträt des Musikers, auf dem das schöne, bedeutende Antlitz zu sehen war, umrahmt von einer Flut grauer Haare, die über die Ohren fielen und bis in den Nacken reichten. Auf dem Gesicht war jede große Warze getreulich wiedergegeben; insgesamt waren es fünf.
    «Also auf dem Bild ist eine über der rechten Augenbraue.» Sie sah über der rechten Augenbraue der Katze nach. «Ja! Da ist sie! Stimmt ganz genau! Und eine links an der Nasenspitze … Die ist auch da! Und eine gerade darunter auf der Wange … Und zwei dicht nebeneinander rechts unter dem Kinn … Edward! Edward! Sieh dir das an! Es ist genau das Gleiche.»
    «Das beweist gar nichts.»
    Sie blickte zu ihrem Mann auf, der in seinem grünen Sweater und den Khakihosen mitten im Zimmer stand und noch immer heftig schwitzte. «Du hast Angst, Edward, nicht wahr? Du hast Angst, deine kostbare Würde zu verlieren und zum Gespött der Leute zu werden.»
    «Ich weigere mich nur, wegen einer Katze hysterisch zu werden, sonst nichts.»
    Louisa wandte sich wieder ihrem Buch zu. «Das ist interessant», sagte sie. «Hier steht, dass Liszt alle Werke von Chopin geliebt hat, nur eines nicht – das Scherzo b-Moll. Das hat er gehasst. Er nannte es das ‹Gouvernanten-Scherzo› und sagte, es sei nur für Damen bestimmt, die diesen Beruf ausübten.»
    «Na und?»
    «Ich will dir was sagen, Edward. Da du dich darauf versteifst, so grässlich zu sein und mir kein Wort zu glauben, werde ich jetzt dieses Scherzo spielen, und du kannst dabeistehen und sehen, was geschieht.»
    «Und dann wirst du vielleicht geruhen, dich um unser Abendbrot zu kümmern.»
    Louisa erhob sich und holte einen großen grünen Band, der Chopins sämtliche Werke enthielt. «Da ist es. O ja, ich erinnere mich. Ich hab’s auch immer scheußlich gefunden. So, nun hör zu – oder

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