Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
Vom Netzwerk:
gekommen.»
    Niemand schien ihn zu hören, und fünf Sekunden später wurde der unglückselige junge Mann vom Fußboden hochgerissen und stieg durch das offene Dach des Schuppens nach oben, hilflos an einem Knöchel hängend und wie ein Fisch zappelnd.
    «Hilfe!», brüllte er. «Hilfe! Ein Irrtum! Ein furchtbarer Irrtum! Haltet die Maschinen an! Lasst mich runter!»
    Der Führer nahm die Zigarre aus dem Mund, sah gelassen zu, wie der Jüngling rasch gen Himmel fuhr, und sagte kein Wort. Die Männer in Gummistiefeln waren schon damit beschäftigt, die nächste Gruppe Schweine in den Pferch zu treiben.
    «Rettet mich!», kreischte unser Held. «Lasst mich runter! Bitte lasst mich runter!» Aber er näherte sich bereits dem obersten Stockwerk des Gebäudes, wo sich das Kabel wie eine Schlange krümmte und auf eine Öffnung in der Wand zulief, auf eine Art Tor ohne Türflügel. Und dort, zum Empfang bereit, anzusehen wie Petrus an der Himmelspforte, stand in einer fleckigen gelben Gummischürze der Schlächter.
    Lexington, der mit dem Kopf nach unten hing, sah ihn verkehrt herum – und auch das nur kurz –, doch er bemerkte sofort den Ausdruck friedlichen Wohlwollens, das freundliche Blinzeln der Augen, das leichte nachdenkliche Lächeln, die Grübchen in den Wangen – und das alles erfüllte ihn mit Hoffnung.
    «Hallo», grüßte der Schlächter freundlich.
    «Schnell! Retten Sie mich!», schrie unser Held.
    «Mit Vergnügen», antwortete der Schlächter, nahm Lexington mit der linken Hand sanft am Ohr, hob die Rechte und schnitt ihm mit einem Messer die Halsschlagader durch.
    Das Kabel lief mit Lexington weiter. Für den Jüngling stand alles Kopf, und das Blut, das aus seiner Kehle drang, floss ihm in die Augen, aber er konnte trotzdem so einigermaßen sehen. Er hatte den verschwommenen Eindruck, in einem sehr langen Raum zu sein, an dessen anderem Ende sich ein riesiger dampfender Wasserkessel befand. Dunkle, halb vom Dampf verhüllte Gestalten tanzten um den Behälter herum und schwenkten lange Stangen. Das Förderband führte offenbar über den Kessel hinweg, und wenn Lexington sich nicht täuschte, wurden die Schweine eines nach dem anderen in das kochende Wasser getaucht. Eines der Tiere schien an den Vorderbeinen lange weiße Handschuhe zu tragen.
    Unser Held fühlte sich plötzlich sehr schläfrig, aber erst als sein gutes, kräftiges Herz den letzten Blutstropfen aus seinem Körper gepumpt hatte, ging er aus dieser, der besten aller möglichen Welten, in die nächste über.

Der Weltmeister
    Den ganzen Tag – das heißt, soweit die Kunden uns Zeit dazu ließen – hatten wir im Büro der Tankstelle am Tisch gehockt und die Rosinen präpariert. Sie waren dick und weich, weil sie in Wasser gelegen hatten, und wenn man sie mit einer Rasierklinge ritzte, sprang die Haut auf, und das gelbe Fleisch quoll heraus. Alles ging so glatt, wie man es nur wünschen konnte.
    Aber es handelte sich um insgesamt hundertsechsundneunzig Stück, und so wurden wir erst am späten Nachmittag fertig.
    «Sehen sie nicht herrlich aus?», rief Claud und rieb sich die Hände. «Wie spät ist es, Gordon?»
    «Kurz nach fünf.»
    Durch das Fenster sahen wir einen Kombiwagen an den Pumpen vorfahren. Er wurde von einer Frau gelenkt, und hinten saßen acht oder neun Kinder, die Eis schleckten.
    «Wir müssen bald aufbrechen», sagte Claud. «Die ganze Geschichte wird ein Reinfall, wenn wir nicht vor Sonnenuntergang draußen sind, das ist dir wohl klar.» Zweifellos, er fing an, nervös zu werden. Sein Gesicht hatte den gleichen aufgeregten, etwas glotzäugigen Ausdruck wie vor einem Hunderennen oder einem abendlichen Rendezvous mit Clarice.
    Wir gingen beide hinaus, und Claud gab der Frau so viele Gallonen Benzin, wie sie verlangte. Als sie fort war, blieb er mitten auf dem Fahrweg stehen und blinzelte besorgt zu der Sonne hinauf, die nur noch eine Handbreit von der Baumlinie des Hügelrückens auf der anderen Talseite entfernt war.
    «Schön», sagte ich, «schließ ab.»
    Er ging rasch von Pumpe zu Pumpe und befestigte jeden Schlauch mit einem kleinen Vorhängeschloss am Halter.
    «Diesen gelben Pullover solltest du lieber ausziehen», meinte er.
    «Warum denn?»
    «Weil du sonst im Mondschein wie ein verdammter Leuchtturm wirkst.»
    «Es wird schon gehen.»
    «Wird es nicht», widersprach er. «Tu mir den Gefallen, Gordon, zieh ihn aus. Wir treffen uns in drei Minuten.» Er verschwand in seinem Wohnwagen hinter der Tankstelle, und

Weitere Kostenlose Bücher