Kuesse - heiß wie die Sonne Siziliens
trotz ihrer Vorbereitung fürchtete sich angesichts der Herausforderung, Trauben zu einem qualitativ hochwertigen Wein zu verarbeiten, den sie an anspruchsvolle Kunden verkaufen konnte. Eins nach dem anderen, beruhigte sie sich selbst. Vielleicht gab es auf dem Weingut ja einen freundlichen alten Verwalter, der sie unter seine Fittiche nahm und sie in die Geheimnisse des Berufs einweihte. ‚Dein Onkel hat mir erzählt, dass er dir das Gut vererben will‘, würde er sagen, ‚du solltest die Familientradition fortführen … Lass mich dir am Anfang helfen.‘
Isabel musste unwillkürlich lächeln, während sie sich diese Szene ausmalte. Die Flucht in Fantasiewelten war immer ihr Weg gewesen, mit den Widrigkeiten des Lebens umzugehen, zum großen Leidwesen ihrer Lehrer und Pflegeeltern, die ihr ständig vorhielten, eine Träumerin zu sein. Es war aber ihr Mittel, der unwirtlichen Realität zu entkommen.‘
Als sie die Schule in Hard Knocks abschloss, hatte sie eine Lektion gründlich gelernt: Es ist lebenswichtig, den Notausgang zu kennen, wenn die Schwierigkeiten zu übermächtig werden. Ein anderer Überlebenstrick bestand darin, mit großem Selbstvertrauen und Selbstsicherheit aufzutreten, besonders wenn sie sich klein und schwach fühlte.
Gerade als sie dachte, es sei an der Zeit umzukehren und zurück in das kleine Dorf Villarmosa zu fahren und sich dort genauer zu erkundigen, entdeckte sie einen Mann in einem Weinberg. Haargenau die Sorte Mann, die sie für die Feldarbeit anheuern musste. Denn selbst wenn es einen freundlichen Menschen gäbe, der sie in der Anfangszeit unterstützte, bräuchte sie doch Arbeiter. Der Mann vor ihr war stark, groß, muskulös und offensichtlich an harte Arbeit gewöhnt. Als Einheimischer wusste er gewiss, wo ihr Weingut lag.
Sie war so erfreut, dass sie mit aller Kraft in die Bremse stieg und in einer Staubwolke zum Halten kam.
Isabel griff nach der Karte, stieg aus dem Auto aus und ging auf die Reihe im Weinberg zu, wo er unbeweglich stand und ihr entgegenstarrte, als hätte noch nie ein Fremder einen Fuß auf dieses Land gesetzt. Was es ihr leichter machte, ihn ebenfalls anzustarren. Sie blickte auf seine ausgeprägte Nase, die aussah, als wäre sie schon einige Male gebrochen gewesen. Sie blickte in seine Augen, die in dem sonnengebräunten Gesicht unglaublich blau strahlten.
Dann wanderte ihr Blick tiefer. Er trug kein Hemd, und seine Jeans saßen auf den Hüften. Sehr umsichtig bei diesem Klima. Und ausgesprochen sexy. Sie schluckte und versuchte, ihren Blick von seiner breiten Brust loszureißen. Vergeblich. Der Schweiß brach ihr auf der Stirn aus, und das Atmen fiel ihr schwer. Vielleicht war dies ihr Besitz. Womöglich arbeitete er schon für sie, und sie würde mit seiner Hilfe im Herbst Wein machen. Nein, so viel Glück auf einmal war äußerst unwahrscheinlich.
„Hallo!“, rief sie, als sie schließlich wieder gleichmäßig atmete. „ Ciao, signore. Per favore, dove e la Villa Monte Verde ?“ Immerhin ein vollständiger Satz. Vielleicht war die Grammatik nicht ganz perfekt, bestimmt verriet ihr Akzent, dass sie eine Touristin war, aber sie war stolz auf sich, weil sie es versucht hatte. Als sie gestern den Anwalt auf Italienisch angesprochen hatte, war der jedoch direkt ins Englische gewechselt.
Dieser Mann sprach bestimmt nur Italienisch, und so musste sie wohl oder übel ihre Sprachkenntnisse erproben. Sie fragte sich, ob alle Arbeiter so umwerfend aussahen. Egal! Sie hatte zugegriffen, als sich ihr die Chance bot, nach Sizilien zu gehen, weil sie einen Neuanfang wagen und Liebesbeziehungen vermeiden wollte, gleichgültig, wie attraktiv die Männer hier waren. In einer neuen Umgebung, mit einer steinernen Mauer um ihr Herz und einem ausgeklügelten Warnsystem war sie offen für neue Herausforderungen. Sie war durchaus bereit, auf ihrem Weg Fehler zu machen, solange es nicht dieselben Fehler waren, die sie in ihrer Vergangenheit begangen hatte.
Der Mann hob die Augenbrauen und schaute sie prüfend an. Sein Blick ließ ihr Herz schneller schlagen. Auf dem Flughafen hatte sie einen ersten Eindruck vom Chic der Italienerinnen bekommen, die allesamt so scheinbar mühelos elegant wirkten. Im Vergleich zu ihnen musste sie in ihrer verknitterten Bluse und dem schlichten Jeansrock, den sie auf die Schnelle aus dem Koffer gezogen hatte, richtig schäbig aussehen. Wenn er es denn überhaupt bemerkte.
Sein Blick fiel jetzt auf ihren Mietwagen, der auf der Straße
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