Küsse im Mondschein
Amandas Röcke raschelten leise, als sie sich bemühte, mit Martin Schritt zu halten. Schließlich packte sie ihn fest am Arm, um ihn dazu zu bewegen, einen Augenblick zu warten - musste aber regelrecht an ihm zerren, bis er endlich stehen blieb.
Abrupt hielt Martin inne und wirbelte zu ihr herum.
»Geh doch bitte mal ein bisschen langsamer!« Mit ärgerlich zerfurchter Stirn sah sie ihn an. »Du hast es doch gehört - du bist unschuldig!«
Martin schaute zu ihr hinab. »Das wusste ich von Anfang an.«
»Aber du warst auch in den Augen der Menschen hier nie der Schuldige.« Aufmerksam musterte sie sein Gesicht. »Bedeutet dir das denn gar nichts?«
»Doch. Das bedeut mir schon etwas«, stieß Martin zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Dann atmete er einmal tief durch und ließ den Blick über ihren Kopf hinwegschweifen. »Nur... nur, dass ich nicht weiß, was genau es mir bedeutet.« Er fuhr sich einmal mit der Hand über das Gesicht, stieß einen Fluch aus und wirbelte dann wieder herum.
Doch schon war Amanda wieder an seiner Seite. »Was soll denn das nun wieder heißen?« Eilig neben ihm hermarschierend, blickte sie ihn von der Seite an. »Was meinst du damit, dass du nicht weißt, was dir diese Neuigkeit bedeutet?«
»Ich will damit doch bloß sagen -« Martins gesamte Welt schien plötzlich vor seinen Augen zu zerfallen. »Ich -« Er fand einfach nicht die richtigen Worte, um zu beschreiben, was für eine grundlegende Veränderung diese Nachricht in seinem Denken ausgelöst hatte. Wieder stieß er einen Fluch aus, nahm Amanda beim Arm und zog sie an den Pferden vorbei. Erst vor der steinernen Mauer, die den Friedhof umgab, blieb er wieder stehen. Und drehte Amanda zu den Felsen um.
»Sieh dir mal Froggat Edge an. Wir haben jetzt so ziemlich die gleiche Uhrzeit wie auch an jenem bewussten Tag. Und es ist auch die gleiche Jahreszeit, und es herrschen die gleichen Lichtverhältnisse. Jetzt stell dir mal vor, wie ich da oben stehe. Und dann stell dir Luc vor. Würdest du - könnte uns irgendein beliebiger Beobachter miteinander verwechseln?«
Amanda starrte zu der Felskuppe hinauf. Dann blickte sie Martin an. »Du denkst, es war Luc?«
»Ich wüsste nicht, wem Sarah sich sonst hingegeben haben sollte. Andererseits hat Luc nie eine Peitsche bei sich getragen, genauso wenig wie ich.«
Seite an Seite saßen Amanda und Martin auf der steinernen Mauer, während er ihr von der Zeit vor seiner Verstoßung erzählte.
»Luc kannte sie ebenfalls. Zwar nicht so gut wie ich, aber... na ja, eben gut genug. Und er war schon immer umwerfend attraktiv. Ich könnte mir also durchaus vorstellen, dass da etwas zwischen den beiden gewesen war. Außerdem hatte Luc zuvor die Weihnachtstage in Hathersage verbracht und war an dem besagten Tag, als der Mord geschah, auch noch etwas vor mir von London aus hierher aufgebrochen. Ich weiß also, dass er vor mir hier zu Hause angelangt war. Und ebenso wie ich, wird wahrscheinlich auch er gleich nach seiner Ankunft von Sarahs Tod erfahren haben. Er hatte also durchaus die Gelegenheit, zu tun, was getan werden musste. Ich denke, sein Motiv müsste in etwa das Gleiche gewesen sein, wie sie es auch mir unterschieben wollten.« Er verzog die Lippen zu einem bitteren Lächeln. »Und wenn man mich damals schon als ›wild‹ betitelt hatte, dann war Luc aber mit Sicherheit noch wilder.«
Amanda nickte. »Ich weiß. Du vergisst, dass ich ihn schon seit meiner Geburt kenne. Aber warum ist dir das nicht schon eher eingefallen? Ich meine, Conlan sagte doch von Anfang an, der Mörder hätte ausgesehen wie du -«
»Ich dachte, Conlan hätte sich eben geirrt. Wäre ja auch nicht allzu verwunderlich gewesen. Der Irrtum ist damals vielen unterlaufen.«
»Du meinst, dass man dich und Luc miteinander verwechselt hätte?«
Martin nickte. »Wir sehen uns ja selbst jetzt noch ziemlich ähnlich, aber damals... damals war es wohl noch leichter, uns, wenn man nur flüchtig hinsah, miteinander zu verwechseln. Nur... erst als mir Conlan gerade eben noch mal die ganze Szene beschrieben hat, ist mir die Sache mit dem Licht aufgefallen.«
Amanda schaute erneut zu dem Felsvorsprung hinauf. »Herrschte damals das gleiche Licht wie jetzt?«
»Ja. Der Himmel war klar, und der gesamte Edge war in schwaches Sonnenlicht getaucht. Und mal abgesehen von der Peitsche, kann ich mir nicht vorstellen, dass Conlan nicht aufgefallen wäre, wie unterschiedlich unsere Haarfarben sind - zumindest bei diesem Licht
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