Küsse im Mondschein
schnelleren Tempo anzutreiben, »müssen wir Euch von jetzt an verstecken.«
Sobald sie die Vororte von London erreichten, wollten sie als Ablenkungsmanöver also vorsichtshalber erst einmal einen kleinen Umweg fahren. Folglich erreichten sie die vornehme Wohngegend längs der Südseite des Parks erst, als bereits die Abenddämmerung hereinbrach. Eilig fuhren sie die Auffahrt nach Fulbridge House hinauf und bogen sogleich in den hinter dem Anwesen gelegenen Remisenhof ein.
»Ich glaube nicht, dass uns jemand gesehen hat.« Amanda stieg vom Kutschbock hinab.
»Zumindest keiner, der uns hätte erkennen können.« Damit kletterte auch Reggie, wenngleich ein wenig schwerfälliger als Amanda, aus der Karriole.
Martin reichte dem Pferdeknecht die Zügel und wandte sich zu Reggie um. »Wie geht es denn Eurem Kopf?«
Reggie, der gerade ausgiebig seinen Rücken streckte, richtete sich wieder auf, dachte einen Augenblick lang nach und erwiderte schließlich: »Nicht mehr so schlimm wie vor der Fahrt - die frische Luft scheint geholfen zu haben.«
»Gut. Am besten, wir lassen gleich auch noch einmal Jules, meinen Diener, einen Blick auf die Wunde werfen. Der weiß für so ziemlich alles ein bewährtes und erprobtes Heilmittel.«
Amanda schob hilfsbereit den Arm unter dem von Reggie hindurch und drehte ihn langsam zum Haus um. »Vielleicht weiß Jules ja auch, wie man Tee zubereitet.«
Und in der Tat erklärte Martins alter Kammerdiener wenig später, dass Reggies Wunde gut heile, und legte ihm noch einmal einen neuen Verband an. Anschließend servierte Jules seinem Herrn und dessen Gästen ein zwar etwas exotisches, aber durchaus stärkendes Mahl. Schließlich zogen Amanda, Martin und Reggie sich in die Bibliothek zurück, um weiter an ihrem Plan zu arbeiten.
Auf der Fahrt nach Süden waren sie übereingekommen, dass sie noch eine weitere Person in ihr Vorhaben mit einweihen müssten: Luc Ashford. Martin verfasste also eine kurze Nachricht und ließ sie nach Ashford House bringen. Dann wandten sie ihre Aufmerksamkeit wieder den vorerst dringlicheren Angelegenheiten zu.
»Reggie könnte erst einmal in meinem Haus bleiben. Damit wäre er zum einen vor eventuellen neugierigen Augen geschützt, und zum anderen wäre auch immer jemand von uns hier vor Ort - in der Operationszentrale sozusagen.«
Reggie schlenderte derweil aufmerksam durch den Raum, schaute sich mal dieses an und mal jenes. Er ließ sich Martins Vorschlag kurz durch den Kopf gehen. Schließlich nickte er: »Alle wissen, dass ich Amanda begleitet habe.« Damit blickte er zu ihr hinüber, die sich in einer Ecke des mit farbenfrohen seidenen Decken und Kissen dekorierten Diwans zusammengekuschelt hatte. »Wenn du also einfach allen erzählst, dass ich anschließend noch auf Besuch zu ein paar Freunden im Norden gefahren bin, wird keiner Verdacht schöpfen.«
»Nur deine Mutter wird sich davon nicht überzeugen lassen«, erinnerte Amanda ihn. »Die wird mir die Geschichte ganz bestimmt nicht abnehmen. Und du willst doch sicher nicht, dass ich ihr dann beichte, dass du in Wirklichkeit ein Loch im Kopf hast und dich hier versteckt hältst.«
Reggie erbleichte. »Gütiger Gott, nein! Ich schreib ihr einfach eine kurze Nachricht und sag ihr darin selbst, dass ich noch diese angeblichen Freunde besuchen wollte. Dann wird sie bestimmt keine Fragen mehr stellen.«
Martin sah Amanda an. »Ich bring dich heute Abend wieder zu dir nach Hause. Ob dein Vater wohl schon von seiner Reise zurück ist?«
Amanda rechnete kurz die Tage nach. Dann nickte sie: »Aber warum willst du denn mit ihm sprechen?«
»Ich finde, er muss die Wahrheit erfahren.« Als Amanda die Stirn runzelte, hob Martin nur flüchtig die Brauen. »Ich werde dich immerhin heiraten. Zudem habe ich noch kein einziges Mal persönlich mit ihm gesprochen.«
Amanda wusste, dass es aussichtslos war, sich nun mit Martin über dieses Thema zu streiten. Im Geiste machte sie sich aber eine kleine Notiz, dass sie dann zumindest in jedem Fall dabei sein wollte, wenn ihr Vater, das Oberhaupt ihrer Familie und ein Cynster wie er im Buche stand, auf ihren Ehemann in spe traf, einen immerhin nicht weniger besitzergreifenden und dominanten Mann. Das Zusammentreffen würde in jedem Fall spannend werden - und davon wollte Amanda doch schließlich nicht ausgeschlossen sein.
Martin fertigte drei Abschriften von ihrer Liste der Verdächtigen an. Er löschte gerade die Tinte der letzten Seite, als es an der Eingangstür
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