Küsse im Mondschein
ganzen Tag mit ihnen zusammen. Und wir sind erst bei Sonnenuntergang wieder zurückgekommen« - schmerzlich berührt verzog er bei der Erinnerung an das Geschehene das Gesicht -, »als der ganze Aufruhr schon wieder vorüber war, und die Entscheidungen gefallen waren. Man hatte uns gesagt, dass wir nicht versuchen sollten, noch einmal mit dir zu sprechen. Eine Stunde später hatten sie dich dann auch schon fortgebracht.«
Martin nickte mit vollkommen ausdrucksloser Miene und betrachtete die Liste. »Damit bleiben noch neun übrig.«
Auch Luc ging noch einmal die aufgeführten Namen durch. »Sie waren alle bereits im Haus versammelt, als wir an dem Tag wieder zurückkehrten.« Er sah Martin an. »Es wird nicht leicht werden herauszubekommen, wo die ganzen Leute an dem bewussten Tag waren, und wer sich womöglich noch an was erinnern kann - heute, zehn Jahre nach dem Vorfall.«
»Das stimmt schon, aber es gibt da ja auch noch etwas, das noch nicht so lange zurückliegt und das wir auch noch überprüfen müssen. Nämlich, wer vor drei Tagen über die Great North Road gereist ist.«
Luc sah Reggie an, der es sich auf der Ottomane bequem gemacht hatte. »Die haben dich wirklich angeschossen?«
Reggie erwiderte Lucs Blick. »Möchtest du die Furche in meinem Schädel gerne mal persönlich begutachten?«
Luc blickte ihn angewidert an. »Nein, dein Wort reicht mir vollkommen.« Damit wandte er sich wieder zu Martin um. »Aber warum sollte man ihn denn erschießen wollen?«
»Meine Vermutung lautet, dass der Angreifer davon ausgegangen war, dass ich der Mann in der Kutsche wäre. Amanda und ich waren zu dem Zeitpunkt etwas weiter hinten auf der Straße zurückgeblieben, ein kurzes Stückchen vor der Kurve - wir hatten noch etwas zu besprechen. Reggie war mit der Kutsche also schon einmal weitergefahren und wollte hinter der Wegbiegung halten und auf uns warten. Als die Kutsche dann langsamer wurde, muss der Mörder wohl gedacht haben, sie würde langsamer, weil der Fahrer die Abbiegung nach Hathersage nehmen wollte. Du kennst die Stelle ja. Die Wegbiegung ist der ideale Ort für einen Überfall aus dem Hinterhalt.«
Luc nickte. Noch einmal schaute er auf die Liste hinab.
Amanda bereitete sich innerlich bereits darauf vor, dass sie nun wohl darum würde kämpfen müssen, wenn sie wollte, dass Edwards Name auf der Liste blieb. Doch offensichtlich hatte Luc gar nichts dagegen einzuwenden, denn er nickte: »Gut. Im Übrigen dürfte es mir bestimmt leichter fallen, die Namen auf der Liste hier zu überprüfen, als euch. Was Bruce und Oliver betrifft, so muss ich nur mal meine Mutter fragen, um herauszufinden, was aus denen geworden ist« - er hielt die Hand hoch und erstickte ihre Proteste damit gleich im Keim -, »natürlich, ohne meiner Mutter irgendetwas zu verraten. Ich habe die beiden schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Und die meisten der anderen müsste ich irgendwo in den Clubs der Stadt auftreiben können.«
Martin nickte zustimmend. »Jeder, der in der fraglichen Nacht vor drei Tagen verbürgterweise auf irgendeinem Ball in Erscheinung getreten ist oder bei einem Empfang gesehen wurde, wird wieder von der Liste gestrichen.«
»Und du bist dir sicher, dass wir es immer mit demselben Mann zu tun haben - dass der Mörder und derjenige, der Reggie angeschossen hat, ein und dieselbe Person sind?«
»Das möchte ich doch wohl hoffen. Um der Familie willen.« Als Luc ihn daraufhin fragend anblickte, führte Martin weiter aus: »Wir haben mehrere Zeugen, die allesamt schwören, dass der Mörder ›genauso aussähe wie ich‹.«
Luc musterte aufmerksam Martins Züge, dann verzog er das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich fang gleich heute Abend mit der Suche an.« Damit stand er auf.
Martin erhob sich ebenfalls. »Reggie bleibt so lange hier, außer Sichtweite sozusagen. Denn wer auch immer der Mörder ist - wenn er nicht jetzt schon darüber nachdenkt, ob er wohl wirklich mich erwischt hat, dann wird er sich das spätestens dann fragen, wenn ich plötzlich wieder auftauche.«
»Und wann wird das sein?«, fragte Luc.
»Auf dem Ball der Herzogin von St. Ives.« Amanda lächelte, als Martin sich ihr zuwandte. »Morgen Abend.«
»Nun gut, meine Liebe.« Amandas Vater schloss die Tür zum Salon, nachdem er Martin hinausgeleitet hatte. »Ich muss sagen, ich kann dich zu deiner Entscheidung nur beglückwünschen.«
Er lächelte, während er zum Kamin hinüberschritt und dabei kurz den Blick von Louise erwiderte, die
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