Küsse im Mondschein
Ihr!«
Unmittelbar auf diese Worte ertönte ein klatschendes Geräusch, das Martin und Amanda veranlasste, nach rechts zu schauen. Raues Gelächter schallte von der Gruppe herüber, die sich um die scheinbar zornige Frau versammelt hatte. Doch auch sie grinste und lachte - und sie hatte dem Gentleman auch lediglich auf dessen dreist umherwandernde Hand geschlagen.
Amanda schienen beinahe die Augen aus dem Kopf zu fallen. Denn das Kleid der Frau... ihr Oberteil war ganz und gar transparent. Ihre nackten Brüste, ihre aufgerichteten Brustwarzen waren für jedermann deutlich erkennbar zur Schau gestellt. Und eine ganze Reihe von Herren starrte bereits darauf.
Amandas schwaches »Großer Gott!« wurde übertönt von Dexters wesentlich entschlossenerem »Komm, wir gehen!«.
Mit einem Ruck drehte er sie herum; Amanda dicht an sich gedrückt, steuerte er genau in die entgegengesetzte Richtung und fort von der lärmenden Gruppe.
Wachsam ließ Martin seinen Blick über die Menge gleiten und stieß im Geiste einen Fluch aus. Für eine Weile hatte der Walzer ihn vollkommen abgelenkt, sodass er jenen entscheidenden Moment verpasst hatte, auf den er eigentlich schon die ganze Zeit über wartete - jenen Augenblick, in dem der Abend einen anderen Tenor annahm, in dem die allgemeine Stimmung umschlug und von ausschweifend und losgelöst ins entschieden Obszöne abglitt. Und nach dem zu urteilen, was er jetzt sah, würden die Dinge sich schon bald zum eindeutig Unanständigen entwickeln.
Manchmal - so ganz offensichtlich auch an diesem Abend - fand der Umschwung eben außergewöhnlich früh statt. Normalerweise würde er sich nun mit der jeweiligen Dame in seinem Arm in seine Loge zurückziehen, um sich dort jenen Vergnügungen hinzugeben, wie sie eigentlich nur im Privaten stattfinden sollten. Es stimmte zwar, dass Martin die bessere Gesellschaft das ganze vergangene Jahr über rigoros gemieden hatte, aber deswegen hatte er dennoch nicht gelebt wie ein Mönch.
Heute Abend aber war eindeutig die Enthaltsamkeit sein Schicksal. So zumindest lautete sein Vorsatz, als er Amanda die Treppe zu seiner Loge hinaufdrängte. Denn ganz gleich, wie lange Amanda dort mit ihm noch würde bleiben wollen - er würde ihr diesen Wunsch erfüllen. Und selbstverständlich würde er darauf achten, dass sein Verhalten unterdessen mehr als korrekt ausfiel. Auch wenn er im Grunde eigentlich viel lieber -
Energisch und im Geiste abermals lästerlich fluchend vertrieb er diesen letzten Gedanken wieder aus seinem Bewusstsein.
Amanda trat in die Loge hinein. Doch noch ehe Martin sie daran hindern konnte, war sie auch schon geradewegs zur Balustrade gestürmt und spähte bereits wieder neugierig ins Parkett hinunter. » Herr im Himmel!« Und schon ließ sie ihren Blick weiterschweifen, bis eine neue Szene ihre ungeteilte Aufmerksamkeit erregte. »Und - gütiger Gott - sieh mal da!«
Doch Martin braucht gar nicht hinzuschauen; und auch Amanda sollte sich das Geschehen dort unten nicht länger ansehen. Martin packte sie am Ellenbogen -
Plötzlich lenkte ein gedämpfter Aufschrei Martins und Amandas Blicke auf die Nachbarloge. Dann folgten noch weitere Geräusche - Keuchen, unzusammenhängende Ausrufe, gestammelte Anweisungen. Im Stillen dankte Martin den Besitzern der Loge, dass diese immerhin so umsichtig gewesen waren, die Vorhänge zuzuziehen. Er packte Amanda noch etwas fester und zog sie von der Balustrade zurück. »Komm jetzt - wir gehen.«
»Gehen? Aber -«
»Nein!«
Damit zerrte Martin Amanda auch schon energisch in Richtung Logentür. Ein Teil von ihr wollte sich entschieden dagegen zur Wehr setzen; dies war schließlich ihr letzter Abend mit ihm, ihre letzte Chance, ihn einzuwickeln, und er beendete ihr Treffen einfach, noch ehe die Nacht ihren Ausklang gefunden hatte. Andererseits aber hatte dieser Schauplatz sich für ihre Zwecke als weitaus weniger geeignet herausgestellt, als sie ursprünglich gehofft hatte. Hier war nichts romantisch, besaß nichts den subtilen Hauch der Verführung. Nein, subtil ging es hier nun wirklich nicht zu. Und dabei war doch gerade diese hintergründige Raffinesse, diese unaufdringlich erotische Atmosphäre das, was sie im Augenblick brauchte - das spürte Amanda nur allzu genau.
Mit mürrischer Miene schob Dexter sie aus dem Theater hinaus und zurück ins Freie; und das Benehmen der Gäste, an denen sie auf ihrem Weg vorbeikamen, bestätigte Amanda noch einmal in ihrer Einschätzung, dass Covent Garden
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