Küsse im Mondschein
eindeutig der falsche Ort für ihr Anliegen war. Es war einfach zu störend, ständig gegen ihr verlegenes Erröten anzukämpfen, sich andauernd darauf konzentrieren zu müssen, ihre Schockiertheit nicht allzu deutlich zu zeigen - nein, Amanda musste ihre fünf Sinne beisammenhalten.
Sie war also regelrecht erleichtert, als sie wieder bei Dexters Kutsche anlangten und dieser ihr beim Einsteigen behilflich war. Trotzdem konnte sie sich nun noch nicht entspannen, obgleich sie natürlich genau das vorgab, als die Tür geschlossen wurde, und Martin sich neben ihr niederließ. Mit einem Ruck fuhr das Gefährt an. Amanda ließ den Blick noch einmal über die Straße schweifen. Im Stillen aber zermarterte sie sich in diesem Moment das Gehirn, was sie nun als Nächstes tun sollte. Immerhin hatte sie Martin nun schon genau so weit, wie sie es sich die ganze Zeit über erhofft hatte: Er brannte geradezu vor Verlangen nach ihr. Aber wie sollte sie daraus nun ihren Nutzen schlagen, wenn er doch gleichzeitig so grimmig entschlossen war, ihren Verlockungen zu widerstehen? Wie sollte sie ihm nun noch den Sieg aus seinen Klauen reißen?
Die Pferde trotteten die Pall Mall entlang, während Amanda hektisch nach irgendeinem Winkelzug suchte, wie sie ihre Zeit mit Martin noch ein wenig verlängern könnte. Angestrengt grübelte sie darüber nach, wie sie seinen Widerstand schwächen könnte. Denn wenn er ihr nun, in dieser missmutigen Stimmung, in der er sich gerade befand, entwischte, dann - dessen war Amanda sich sicher - würde sie ihn nie wiedersehen. Sie passierten die Park Lane; vor ihnen lagen die dunklen Schatten von Green Park. Amanda erhaschte einen kurzen Blick auf die Bäume, und plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte. Ein Gefühl der Ruhe legte sich über sie. Sie wartete, bis Martins Kutsche in jene Straße einbog, die parallel zum Park verlief. Dann schaute sie ihn an: »Es ist doch noch so früh. Und der Abend ist recht mild. Wollen wir nicht noch ein Weilchen durch Green Park schlendern?«
Martin sah zum Park hinaus, jener Grünanlage, die speziell zum Flanieren kreiert worden war und in der sich Kieswege anmutig zwischen hohen Bäumen hindurchschlängelten. Tagsüber war dies das bevorzugte Revier der Erzieherinnen und Kindermädchen, die hier mit ihren jungen Schützlingen spazieren gingen. Nachts jedoch war es hier menschenleer. Außerdem war es ein frei zugängliches Gelände ohne Zäune, und mit den weitläufigen Rasenflächen und Bäumen schien es Martin ein durchaus sicheres Terrain zu sein - es gab keinerlei Büsche oder sonstige dunkle Schlupfwinkel, in denen irgendwelche Bösewichte sich verstecken könnten.
»Ich meine, ich war schließlich von einem ganzen Abend in Covent Garden ausgegangen. Aber...« Amanda zuckte mit den Schultern, als Martin sie ansah. »So, wie die Dinge jetzt liegen, würde ich vorschlagen, dass wir einfach noch ein bisschen unter den Bäumen durchschlendern, und dann soll mir das für den heutigen Abend auch genügen.«
Dies schien auch Martin ein durchaus vernünftiger Vorschlag zu sein, und er unterdrückte das übellaunige Schnauben, das ihm bereits auf den Lippen lag. Außerdem war natürlich auch ihm nur allzu deutlich bewusst, dass dies sonst bereits seine letzten Augenblicke mit Amanda wären; dass ein kleiner Spaziergang durch den Park den Moment, wenn er sich zum letzten Mal von ihr verabschieden müsste, noch ein klein wenig hinauszögern könnte. Und doch ignorierte er dieses Bewusstsein ebenso störrisch wie die unwillkommene Sehnsucht, Amanda einfach bei sich zu behalten, sie mit zu sich nach Hause zu nehmen und sie dort in seiner Bibliothek, wo sie für alle Zeiten allein die Seine wäre, einzuschließen und zu genießen.
Die Kiefer fest aufeinandergebissen, verdrängte er diese letzten, verstörenden Gedanken. »Also gut.«
Auf seine Anweisung hin hielt die Kutsche an einem seitlichen Grünstreifen. Martin sprang zu Boden, reichte Amanda zum Aussteigen die Hand und half ihr dann dabei, den schwarzen Domino gegen ihren samtenen Mantel zu tauschen. Gewissenhaft verknotete sie die Bänder an ihrer Kehle, doch den Rest des Mantels ließ Amanda ganz bewusst offen, um den warmen Farbton ihres Kleides nicht zu verstecken. Zu Martins stummem Beifall setzte sie auch die Kapuze nicht auf, sodass ihre reiche Lockenpracht im schwachen Mondlicht sanft glänzte.
Es juckte ihn geradezu in den Fingern, ihr Haar zu berühren. Doch stattdessen ergriff er Amandas Hand, zog sie
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