Küsse im Morgenlicht
Amelia darauf regieren würde: Sie würde zutiefst gekränkt und verletzt sein und ihn die nächsten paar Jahre über höchstwahrscheinlich wie die Pest meiden - etwas, wozu sie durchaus im Stande war. Und doch war es so, dass er sie in gewisser Weise schon als die Frau betrachtete, die ihm gehörte, als die Beute, die er bereits gepackt hatte, auch wenn er noch keinen formellen Besitzanspruch auf sie erhoben hatte. Die Vorstellung, sie nun wieder freizugeben, seine Pranke hochzuheben und sie gehen zu lassen...
Nein. Ausgeschlossen. Das konnte er nicht, und das würde er auch nicht tun.
Er wusste, wo sie im Moment standen; nun kam es für ihn darauf an, von dort aus einen Weg vorwärts zu finden, einen Weg, der ihn weiterbrachte, der zu ihrer Hochzeit führte, und er hatte nicht die Absicht, auch nur einen einzigen Schritt zurückzuweichen. Wenn es um Amelia ging, war er sich völlig sicher - nachgeben kam nicht in Frage. Sie hatte angeboten, ihn zu heiraten, er hatte ihr Angebot angenommen, folglich gehörte sie ihm.
Konnte er ihr die Wahrheit sagen, es aber gleichzeitig ablehnen, sie wieder freizugeben? Konnte er ihr gestehen, dass er ihre Mitgift nicht mehr brauchte, aber zugleich darauf dringen, dass sie trotzdem heiraten sollten?
Das würde sie nicht akzeptieren. Ganz gleich, wie hartnäckig er darauf bestand, wie überzeugend er argumentieren mochte - ganz gleich, was er sagte -, sie würde in jedem Fall das Gefühl haben, dass er bloß freundlich war, dass er ihr lediglich den Schmerz des Zurückgewiesenwerdens ersparen wollte...
Wieder verzog Luc das Gesicht zu einer Grimasse und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Denn selbstverständlich würde er alles tun, um ihr einen derartigen Schmerz zu ersparen - jeglicher Versuch, dies zu leugnen, erübrigte sich also von vornherein. Immerhin handelte es sich bei der Frau, um die es hier ging, um Amelia. Und die kannte ihn einfach zu gut. Sie wusste, dass er trotz seiner bisherigen Abneigung gegen die Ehe sogar heiraten würde, wenn er es damit vermeiden könnte, ihr wehzutun. Weibliche Wesen wie Amelia, weibliche Wesen, die ihm etwas bedeuteten, mussten beschützt werden, das war eine seiner grundlegenden Überzeugungen. Die Tatsache, dass sie mit ihm streiten, ihn beschimpfen und gänzlich anderer Meinung sein könnten, war dabei völlig nebensächlich; solcherlei Widerstand vermochte ihn nicht zu beeindrucken.
Die einzige Möglichkeit, wie er Amelia also nun davon überzeugen könnte, dass er sie keineswegs lediglich aus Nettigkeit heiraten wollte, aus dem Bedürfnis heraus, sie zu schonen, bestand darin, ihr sein Verlangen, sie zur Ehefrau zu haben, einzugestehen und zu erklären.
Und wieder sträubte sich alles in ihm dagegen, war sein Hirn mit einem Mal wie blockiert. Er konnte sich dieses Verlangen ja noch nicht einmal selbst erklären, verstand überhaupt nicht, woher es auf einmal kam und warum es so mächtig war. Die Vorstellung, sich zu jener Art von Verlangen zu bekennen, die einen Mann von sich aus zum Heiraten trieb - der Gedanke, dieses Verlangen laut eingestehen zu müssen und noch dazu Amelia gegenüber, dem Objekt besagter Begierde - löste einen Widerstand in seinem Inneren aus, der ebenso felsenfest und unerschütterlich war wie seine Absicht, sie zu heiraten.
Er kannte Amelia und auch die anderen Frauen in ihrer Familie sehr gut; ein solches Eingeständnis käme einer Entmachtung gleich; dann könnte er ihr die Zügel auch gleich überlassen, das liefe auf dasselbe hinaus - etwas, was er diesseits der Hölle niemals freiwillig tun würde. Er wollte und würde Amelia zu seiner Ehefrau machen, aber er war strikt dagegen, ihr unnötige Macht über ihn einzuräumen.
Die Tatsache, dass andere Angehörige seines Geschlechts, darunter erst kürzlich auch Martin, letztendlich schwach geworden waren und genau das getan hatten, ging Luc flüchtig durch den Kopf, doch er kümmerte sich nicht weiter darum. Er hatte noch nie dazu geneigt, sich von Gefühlen oder Sehnsüchten beherrschen zu lassen; im Übrigen hatten ihn die vergangenen acht Jahre dazu gezwungen, solcherlei Empfindungen noch rigoroser zu bezähmen. Keine Frau war dazu fähig, sich über seinen Willen hinwegzusetzen; keine Frau würde ihn jemals beherrschen.
Luc lag ganz still da und starrte zum Betthimmel hinauf, spielte in Gedanken mit seiner letzten noch verbleibenden Option. Er überlegte, analysierte, extrapolierte, machte Voraussagen. Entwickelte einen Plan. Suchte und fand
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