Küsse im Morgenlicht
diesen Walzer begonnen hatten, schaute er ihr in die Augen - er hatte die Verärgerung, die ihm schon seit geraumer Zeit aus ihren blauen Tiefen entgegenblitzte, zuvor bewusst nicht wahrnehmen wollen. Natürlich wirkten ihre Gesichtszüge vollkommen gelassen - das störrisch vorgereckte Kinn, die fest zusammengepressten Lippen, die er bereits so gut an ihr kannte, suchte er in diesem Augenblick vergebens. Andererseits aber haftete ihr auch noch immer diese gewisse erwartungsvolle Haltung an. Er hatte ihre Vorfreude sofort bemerkt; gleich von dem Augenblick an, als er sie etwas früher am Abend in der Eingangshalle seines Hauses empfangen hatte. Und diese Vorfreude schien auch weiterhin in dem geschmeidigen, schlanken Körper zu schwelen, den er nun in seinen Armen hielt. Vor allem aber spürte er, wie ihre Entschlossenheit wuchs - jene eiserne Willenskraft, die durchaus auch zu ihrem Wesen zählte und die Luc gerade einmal wieder deutlich zu spüren bekam.
Er hob den Kopf, ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Wie gesagt, die Möglichkeiten hier sind sehr begrenzt.« Orcott House war keineswegs groß, und der Ballsaal besaß eine recht schlichte Architektur - ohne irgendwelche versteckte Nischen oder Alkoven.
»Das ist mir völlig egal...«
Er schaute sie an, blickte tief in ihre Augen, überzeugte sich davon, dass die Drohung, die er aus ihren Worten herausgehört zu haben glaubte, keineswegs bloß seiner Fantasie entsprang. Fast schon instinktiv erwiderte er: »Jetzt werde bitte nicht albern.«
Ach, hätte er doch bloß nicht so unbedacht gesprochen. Könnte er seine Bemerkung wieder zurücknehmen - er hätte es sofort getan. Doch Amelia überraschte ihn mit ihrer Selbstbeherrschung und erwiderte zunächst überhaupt nichts. Im Übrigen war Luc regelrecht verwundert über die absurde Vorstellung, dass Amelia es tatsächlich wagte, ihn herauszufordern; dass sie ernsthaft mit dem Gedanken spielte, von allen Männern ausgerechnet ihn zu einer schamlosen Tändelei verlocken zu wollen …
Die bloße Idee war schon geradezu verrückt. Die Welt musste offenbar Kopf stehen! Denn das alles stand so ganz im Gegensatz zu dem, wie die Dinge zwischen Männern und Frauen normalerweise funktionierten - zumindest in seiner Welt.
Der plötzliche, bläulich glimmende Funke, der in ihren Augen aufzublitzen schien, verriet Luc allerdings, dass er sich besser darauf einstellen sollte, dass die Welt an diesem Abend tatsächlich auf dem Kopf stand; dass nichts mehr so war, wie er es kannte. Alles geriet aus den Fugen.
Als der Walzer endete, schenkte Amelia ihm schließlich ein betont liebenswürdiges Lächeln. »Albern? Aber nein, ich bitte dich.« Die Musik verhallte, sie blieben stehen, und Amelia löste sich aus Lucs Armen. Und sie spürte, wie er für einen winzigen Augenblick noch einmal die Finger um ihr Handgelenk schloss, sie festhalten wollte und sich regelrecht selbst bezwingen musste, um sie schließlich loszulassen. Amelia lächelte unterdessen gelassen weiter und sah ihm fest in die Augen, während er langsam die Hand von ihrem Arm gleiten ließ. Dann wandte sie sich ab, schaute ihn aber bis zuletzt eindringlich an. »Nach Albernheiten steht mir nun wirklich nicht der Sinn. Nein, mir wäre da eher nach etwas... Anregenderem.«
Sie wollte ihn mit ihren skrupellosen Provokationen bis aufs Äußerste reizen - genau das war ihr Ziel, genau das war ihre Gabe, eine Gabe, die sie bis zur Perfektion beherrschte. Denn sie war immerhin bereits dreiundzwanzig und auf dem Gebiet des gefährlichen Flirts mehr als erfahren. Es gab nur wenig, wovor sie noch zurückschreckte. Besonders, wenn es um Luc ging.
Sie neckte und provozierte ihn nach allen Regeln der Kunst und beobachtete zufrieden, wie sein Zorn immer größer wurde. Es war zwar ausgesprochen schwer, besonders bei Luc einen leidenschaftlichen Wutausbruch zu provozieren, denn er hatte viel zu viel Selbstdisziplin und seine Gefühle fest im Griff. Aber er verabscheute es, wenn Amelia mit ihrem Lächeln und ihrem Lachen die Aufmerksamkeit anderer Männer auf sich zog. Und vor allem hasste er es, wenn sie sich zu einem dieser Herren dann auch noch unnötig einladend hinüberlehnte, wenn sie ihren ganzen natürlichen Charme spielen ließ und ihren Verehrer sogar noch zu einer näheren Begutachtung seines neuesten Flirts ermunterte - eine Aufforderung, die besagter Herr üblicherweise nicht ablehnte.
Nach sechs Jahren in den Ballsälen dieser Stadt wusste Amelia genau,
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