Kuesse niemals deinen Chef
er sicher noch kein gelangweilter Zyniker gewesen, sondern ganz der grünäugige, mitreißend vollblütige Freibeuter – wie in ihren geheimen Träumen der letzten Nächte.
Aber naiv und unbedarft? So konnte sie ihn bei aller Fantasie einfach nicht sehen.
„Schwer vorstellbar, dass Sie einmal jung waren“, sagte Grace mitten aus ihren Gedanken heraus. Ihre Stimme klang viel sanfter als beabsichtigt, fast so, als läge ihr etwas an ihm. Ihre Blicke trafen sich, und Grace hielt den Atem an. Plötzlich wirkte er tatsächlich jung und seltsam verletzlich. Sie hätte den Kopf abwenden sollen, aber sie brachte es nicht fertig.
„Ein naturgegebener Lebensverlauf, mehr nicht“, sagte er nach einer kurzen Pause. „Ich bekam nie die Gelegenheit, jung und unschuldig zu sein.“
Grundgütiger! Gedanken lesen konnte er auch noch!
„Aber ich glaube auch nicht, dass es mir gestanden hätte“, rettete er sich in die gewohnte Ironie und war schlagartig wieder das gefährliche Raubtier auf Beutezug. Der selbstbewusste Eroberer, dem es mühelos gelang, sie in seinen Bann zu ziehen – entgegen ihren besten Absichten. „Dafür kann ich auf ein beachtliches Sündenregister zurückschauen, was mein Verhältnis zur Weiblichkeit angeht.“
„Auch darüber bin ich informiert“, bemerkte Grace spröde. „Genau das macht Sie ja zur perfekten Galionsfigur der neuen Hartington-Werbekampagne. Alle Frauen ergehen sich in wildesten Fantasien, und alle Männer wollen so sein wie Sie.“
„Alle Frauen?“, murmelte er gedehnt, ohne auch nur eine Sekunde den Blick von ihr zu nehmen. „Soll das heißen, auch Sie sind völlig fasziniert von mir, Grace?“
Nur mit äußerster Willensanstrengung unterdrückte sie ein Schaudern. „Hatte ich Sie nicht gebeten, mich mit Miss Carter anzusprechen?“ Grace bemühte sich um einen sachlichen Ton und sah sich selbst als nörgelnde, strenge Schulmeisterin. Dabei wollte sie doch nur kompetent erscheinen! Was blieb ihr denn auch für eine Wahl, gefangen auf dem viel zu engen Rücksitz, viel zu dicht neben einem Mann, der als Synonym für Sex stehen könnte?
Für leidenschaftlichen, wilden Sex, der einen alles um sich herum vergessen ließ und zum willenlosen Spielball hemmungsloser Lust machte.
Sex, der alles zerstören und vernichten konnte. Viel zu oft hatte sie es mit ansehen müssen. Und es selbst erlebt.
„Du hättest Nein sagen können, Gracie“, hatte ihre Mutter ihr damals vorgehalten. Ausgerechnet Mary-Lynn, die selbst ständig in katastrophale Affären verstrickt war und weder die Zeit noch den Willen aufbrachte, ihr einziges Kind zu beschützen. „Jetzt musst du mit den Konsequenzen leben.“
Diese Art Sex war wie eine Folter, dachte Grace und schauderte nun doch bei der Erinnerung an die quälende Vergangenheit. Nach ihrem Abschlussjahr hatte sie sich bewusst von Männern ferngehalten. Zugegebenermaßen war es ihr nicht einmal schwergefallen, weil sie niemandem begegnet war, der sie interessierte, bis …
„Gibt Ihnen das einen besonderen Kick, wenn ich Sie Miss Carter nenne?“, fragte Lucas herausfordernd und rückte noch näher an sie heran. „Sie müssen es mir nur sagen. Ich nenne Sie, wie immer Sie wollen, Grace.“
„Besten Dank, Mr Wolfe“, erwiderte sie mit viel zu hoher Stimme. „Ich befürchte allerdings, dass ich für Ihren besonderen Charme absolut unempfänglich bin.“
„Aber Sie sind doch auch eine Frau, oder nicht?“
„Ja, schon“, bestätigte Grace mit falschem Lächeln, „allerdings extrem anspruchsvoll.“
„Ausgezeichnet!“ Er ließ seinen Blick zu ihren vollen Lippen wandern. Es fühlte sich an wie eine Berührung, selbstsicher und fordernd. „Können Sie eigentlich meine Gedanken lesen?“, schnurrte er wie eine lauernde Wildkatze.
Grace spürte, wie sie errötete. „Dazu braucht es ein besonders … sensibles, intelligentes Gegenüber.“
Lucas zeigte keine Spur von Enttäuschung. „Das ist sehr schade. Ich funktioniere glücklicherweise sehr viel universeller. Soll ich Ihnen verraten, was Sie denken?“
Da ihr seit geraumer Zeit nichts anderes im Kopf herumging als die wahnwitzige Fantasie, Lucas würde sie einfach überrumpeln, gegen ihren Willen küssen und gleich hier verführen, hielt Grace es für besser, dieses Angebot abzulehnen. „Mr Winthrop vertraut darauf, dass ich mich Ihnen gegenüber konstruktiv zeige, anstatt Sie möglicherweise zu beleidigen“, erklärte sie nüchtern.
Sie sah das Aufblitzen in seinen Augen
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