Kuesse niemals deinen Chef
hier nicht seine neugierige Nase hineinstecken möchte, wenn er die Chance dazu bekommt.“
Ihr Blick blieb fragend und wachsam. Verspätet erinnerte Lucas sich daran, dass sie als Amerikanerin wahrscheinlich gar nichts von den tragischen Familienereignissen der Vergangenheit wusste. Irritiert stellte er fest, dass ihm der Gedanke missfiel, sie könnte all die schrecklichen Geschichten womöglich auf einmal erfahren. Warum das so war, vermochte er nicht zu sagen. Bisher hatte es ihn immer kaltgelassen, wenn hinter seinem Rücken oder sogar ganz offen getuschelt, spekuliert oder getratscht wurde.
Im Gegenteil! Wann immer sich die Gelegenheit ergab, versuchte Lucas Wolfe sogar die schlimmsten Mutmaßungen noch zu toppen. „Einer meiner Vorfahren ist dort unten in dem See ertrunken“, vertraute er Grace unvermittelt an. „Leider nicht mein Vater. Der starb im Haus.“ Dass sein Lächeln misslang, konnte er an ihrer starren Miene sehen. „Der Rest von uns hat es zumindest geschafft, irgendwie zu überleben. Auf Wolfe Manor herrscht kein guter Geist und hat es auch nie getan. Aber vielleicht ist es genau deshalb der perfekte Veranstaltungsort für die Gala. Denn das Einzige, was die Leute noch mehr als Glanz und Glamour lieben, sind Tragödien und die Gelegenheit, in alten schmutzigen Geschichten herumzustochern.“
„Sie haben offenbar eine hohe Meinung von ihren Mitmenschen. Kein Wunder, dass die Geschäftsleitung so versessen auf Ihre Unterstützung war.“ Doch ihre feine Ironie war an ihn verschwendet.
„Sie wollen mich, weil ich genauso bin, wie ich bin“, erwiderte Lucas arrogant, „und weil jeder, der sich in meiner Gesellschaft oder auch nur in meinem Dunstkreis befindet, in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückt. Dazu bin ich reich, attraktiv und laut Hörensagen ein exzellenter Liebhaber.“
„Ach, und ich dachte, es läge an Ihrer Bescheidenheit und der umgänglichen Art“, konterte sie.
„Warum soll ich mein Licht unter den Scheffel stellen? Immerhin kenne ich meinen Spiegel und die englische Presse.“
„Schon klar …“ Grace wirkte weder beeindruckt noch interessiert. „Um aufs eigentliche Thema zurückzukommen, ich denke, mit ein wenig Esprit, einer Menge Fantasie und viel Arbeit könnte das Firmenjubiläum zu einem echten Highlight werden.“
Lucas fragte sich, wie Wolfe Manor auf jemanden wirken mochte, der hier nicht als Kind hatte leben müssen und durch die belastenden Ereignisse der Vergangenheit traumatisiert war. Für ihn selbst gab es nur wenige positive Erinnerungen. Wenn, dann hingen sie mit seinen Geschwistern zusammen, insbesondere mit Jacob, doch das konnte alles andere niemals aufwiegen.
Dabei war er nicht einmal hier geboren. Seine Mutter, die er nie kennengelernt hatte, hatte ihn auf der Türschwelle abgelegt und damit der Willkür seines Erzeugers ausgeliefert. Schon in jungen Jahren wurde ihm klar, dass William Wolfe seine anderen Sprösslinge zwar ebenfalls ignorierte oder wie lästiges Ungeziefer behandelte, ihn jedoch hasste er regelrecht.
Diese Erkenntnis machte Lucas zu dem, der er heute war: ein nach außen strahlender und charmanter Draufgänger, verschlossen im Innern und für alle eine schwere Enttäuschung, die etwas von ihm erwarteten.
Doch davon konnte Grace nichts wissen. Sie kannte weder quälende Geister der Vergangenheit noch abwesende Mütter und grausame Väter. Für sie war das riesige Anwesen mit dem einst prachtvollen Bau wahrscheinlich nicht mehr als ein Ausdruck typisch britischer Exzentrik und damit genau der richtige Rahmen für die geplante Festivität.
Sie bestätigte es ihm mit ihren nächsten Worten. „Wir werden die Fassade illuminieren, wodurch das romantisch morbide Flair noch betont wird. Eine geheimnisumwitterte Schönheit … erweckt aus ihrem Dornröschenschlaf zu neuer Eleganz und neuem Leben.“
Erst jetzt fiel ihm das PDA in ihrer Hand auf. Befremdet registrierte Lucas, dass sie längst nicht mehr mit ihm sprach, sondern mit dem stylischen, ultraflachen Taschencomputer. Grace Carter ging völlig in ihrer Arbeit auf, und er – laut Regenbogenpresse die größte Versuchung auf zwei Beinen – war für sie offensichtlich nicht mehr als … ihr Assistent?
Seltsamerweise erregte ihn das auf eine ganz spezielle Weise.
„Diesen Eindruck müssen wir abspeichern und in jeder Phase der neuen Werbekampagne manifestieren“, formulierte Grace sachlich weiter. „Der Wolfe-Touch steht immer noch für Glanz und
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