Kuessen al dente - Roman
sie so sehr liebte, nach den grünen Hügeln, den pittoresken Städtchen, den köstlichen Mahlzeiten unter freiem Himmel. Während ihrer zweijährigen Ausbildung am Culinary Institut hatte sie ein Praktikum in Florenz absolviert, bei Claudia Cavalli, einer fantastischen Köchin, die ihr die Liebe für alles Italienische vermittelt hatte. Zuletzt war sie mit Glenn in der Toskana gewesen, bei der Hochzeit von Freunden, die sich in der ehemaligen Villa von Dante Alighieri hatten trauen lassen. Als das Paar sich draußen im Garten mit Blick auf die Kathedrale das Jawort gegeben hatte, hatten Glenn und sie sich an den Händen gehalten und gedacht: Das nächste Mal stehen vielleicht wir dort.
Ihre Augen begannen zu brennen, und sie spürte einen Kloß im Hals. Jetzt nur nicht heulen, ermahnte sie sich. Untersteh
dich! Sie starrte angestrengt zu den Bäumen hinauf, denn sie hatte irgendwo einmal gelesen, dass man nicht weinen konnte, wenn man nach oben schaute. Erst als sie sicher sein konnte, dass die aufsteigenden Tränen wieder versiegt waren, stand sie auf und machte sich auf den Heimweg.
Kaum hatte sie die Wohnungstür aufgeschlossen, wurde sie von Sally begrüßt, die freudig mit dem Schwanz wedelte. Georgia schlang die Arme um Sallys Nacken und drückte ihre Nase an die feuchte Hundeschnauze; selten hatte sie sich so gefreut, jemanden zu sehen. Von Glenn jedoch keine Spur, keine Nachricht, keine Notiz. Sally stupste so lange mit der Schnauze gegen Georgias Hand, bis diese sich neben sie auf den Boden hockte. Da klingelte das Telefon.
»Hallo?« Georgia machte sich nicht die Mühe, einen Blick aufs Display zu werfen.
»Hi.« Es war Glenn.
»Glenn, wo bist du?« Sie war bereit, alles zu vergessen: das Kokain, die Zweifel, ihre Probleme.
»Bei Ray. Ich glaube, ich übernachte heute dort.« Ray war Investmentbanker und Glenns Cousin. Er teilte sein 800-Quadratmeter-Loft in bester Lage von Manhattan, das unter fünf Millionen Dollar nicht zu haben war, mit einem Aquarium voll exotischer Fische. Georgia und Glenn hatten die exklusive Bleibe gemeinsam mit Ray besichtigt, bevor dieser den Makler mit der Aussicht auf Barzahlung überzeugt und den Zuschlag erhalten hatte. Georgia erinnerte sich noch gut, wie sie angesichts der Küchenausstattung der blanke Neid gepackt hatte: Sechs-Flammen-Gasherd von Wolf, zwei Miele-Geschirrspüler, ein doppelwandiger Backofen, Arbeitsplatten aus englischem Marmor. Und das alles für einen Ignoranten, der in seinen ultramodernen Liebherr-Kühlschrank nie mehr
als eine Flasche Dom Pérignon und ein Sixpack Budweiser stellen würde.
»Ist das dein Ernst? Du kommst nicht nach Hause?«
»Nein. Ich war noch mal in der Wohnung, während du weg warst, und hab ein paar Sachen eingepackt. Ich brauche Abstand, Georgia.« Zum zweiten Mal an diesem Tag reckte Georgia ihr Kinn in die Höhe, entschlossen, auch nicht eine einzige Träne zu vergießen.
»Moment mal. Du meinst, du kommst nicht zurück?«
»Nicht sofort.«
»Wegen dem Koks?«
»Es ist nicht nur deshalb, Georgia. Ich brauche ein bisschen Zeit für mich.«
Sie schluckte. »Dann nimm sie dir.«
Georgia stellte das Telefon zurück in die Station. Ihr Blick fiel auf den verchromten Mixer, den Glenn ihr nach ihrer einjährigen Trennung als Versöhnungsgeschenk mitgebracht hatte. An dem Abend hatten sie sich frische Mango-Margaritas gemixt, waren anschließend über die Madison Avenue geschlendert und hatten Eis gegessen. Es war ein milder Frühlingsabend gewesen, einer der ersten in diesem Jahr, und sie hatten beschlossen, dass Glenn zu ihr ziehen würde. Oder genauer gesagt, Glenn hatte das entschieden und Georgia zugestimmt.
Georgia überlegte. Lief das immer so zwischen ihnen? Er traf die Entscheidungen, und sie stimmte allem einfach zu?
Sally rollte sich auf den Rücken und stupste auffordernd mit ihrer Pfote nach Georgias Hand.
»Zeit«, murmelte sie, als sie Sallys Bauch kraulte. »Er sagt, er brauche Zeit.« Wofür, das wusste sie nicht. Aber so, wie es aussah, hatte er sich bereits entschieden. Und sie sich wahrscheinlich auch.
4
G eorgia lag auf der Couch, und während sie auf den Lieferservice wartete, tanzten Ginger Rogers und Fred Astaire in Top Head über den Bildschirm. Als kleines Mädchen hatte sie mit ihrer Großmutter dieses Musical aus den Dreißigern, damals der Inbegriff von Glamour, leidenschaftlich gern und oft angeschaut und von dem eleganten Fred und der hinreißenden Ginger geschwärmt, natürlich
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