Kuessen al dente - Roman
stumm.
»Das Marco? Wo ich arbeite? Vor zwei Tagen kam eine wirklich einflussreiche Restaurantkritikerin zu uns, und sie wird eine fantastische Kritik über uns schreiben.«
»Das ist ja prima, Georgia. Ich freue mich, dass das Kochen sich endlich für dich auszahlt, nachdem es ja offensichtlich das ist, was du gerne tust.«
»Oh, ist es so offensichtlich?«
Dorothy plapperte unbeirrt weiter, scheinbar ohne den ironischen Tonfall ihrer Tochter zu bemerken, so wenig wie auch alles andere, was ihre Tochter betraf. »Meinst du, ich kann dieses rosenrote Kleid zur Hochzeit tragen? Ich weiß natürlich, dass Rot traditionell sehr republikanisch ist, aber eigentlich ist es eher ein Magenta, eine bodenlange Tunika mit einer handgestickten Borte oben am Halsausschnitt.«
»Hört sich nach Mrs. Roper aus der Fernsehserie Herzbube mit zwei Damen an.« In Anbetracht von Dorothys Schlankheitswahn sollte man annehmen dürfen, dass sie zumindest ein klitzekleines bisschen Ahnung von Mode hatte. Stattdessen schien sie in der Ära der Gesundheitstreter, weiten Hängekleider mit Blumenmuster und rostfarbenen Hosenanzügen steckengeblieben zu sein.
»Mrs. Wer? Wird Glenns Mutter etwas Ähnliches tragen?«
»Das bezweifle ich, Mom. Aber zieh einfach an, was dir gefällt.«
»Gut. Dann sehen wir uns morgen. Die Party fängt um eins an.«
»Party?«
»Die hast du doch hoffentlich nicht vergessen, oder? Dad und ich kommen morgen heruntergefahren und übernachten
bei Onkel Paul in Millbrook. Ich habe am Montag in New York diese Umweltkonferenz, erinnerst du dich? Und Paul hat uns alle morgen zu sich auf die Farm zum Mittagessen eingeladen. Uns alle vier. Du hast doch gesagt, dass ihr auch kommt.«
Georgia setzte die Schüssel mit den Eiscremeresten ab und zermarterte sich den Kopf, wann Dorothy dieses Mittagessen erwähnt hatte. Paul war der jüngere, einzige und über die Maßen erfolgreiche Bruder ihres Vaters. Er besaß eine Eigentumswohnung am Sutton Place und ein Farmhaus draußen auf dem Land und hatte erst kürzlich geheiratet – zum dritten Mal.
»Georgia, du hast versprochen, dass ihr beide kommt, und wir haben Paul bereits erzählt, dass er mit uns allen rechnen kann. Vom Grand Central aus seid ihr mit dem Zug im Nu dort, und Dad wird euch in Dover Plains abholen.«
Jetzt fiel es Georgia wieder ein. Sie hatte die Einladung in der Hoffnung angenommen, dass ein Ja zu Millbrook ihr weitere Treffen mit ihrer Mutter während ihres Aufenthalts in der Stadt ersparen würde. Als Vorsitzende einer kleinen gemeinnützigen Umweltorganisation nahm Dorothy schon seit Jahren an dieser Konferenz teil. Sie dauerte drei Tage, und das war für Georgia drei Tage zu lang, da ihre Mutter nur eine kurze Taxifahrt entfernt wohnen würde.
»Natürlich habe ich das Essen nicht vergessen«, beruhigte Georgia ihre Mutter. »Ich werde da sein.«
»Und was ist mit Glenn?«
»Ich meine, wir werden kommen.« Glenns Abwesenheit ließe sich einfach erklären, und sie hatte sich schon überlegt, was sie als Entschuldigung anführen würde: die Arbeit an einem sehr wichtigen Fall, er kam nicht weg. Dorothy würde angemessen beeindruckt sein und keine weiteren Fragen stellen.
Georgia legte auf und setzte sich wieder auf die Couch. Die Schüssel war beinahe leer; Unterhaltungen mit ihrer Mutter hatten den merkwürdigen Effekt, sie zum Essen zu animieren. Hätte sie ihre Kindheit nicht überwiegend bei ihrer Großmutter verbracht, wäre sie jetzt dick wie eine Tonne. Und ohne ihre Grammy wäre sie auch nicht Küchenchefin geworden.
Gegen Ende des Abendessens anlässlich von Georgias Collegeabschluss – ein mittelmäßiges Mahl im zweitbesten Restaurant der Stadt – hatte Grammy erklärt, dass sie etwas zu sagen habe. Georgia hatte die Augen geschlossen und gebetet, dass sie ihnen jetzt nicht eröffnen möge, sie leide an einer unheilbaren Krankheit. Stattdessen ließ sie die Familie wissen, dass sie für die finanziellen Möglichkeiten gesorgt habe, mit denen Georgia eine akademische Ausbildung ihrer Wahl absolvieren und dabei sogar noch etwas für schlechte Zeiten übrig behalten könne. Da Georgia das Geld ohnehin erben würde, nachdem sie tot und ihre Asche über den Silver Lake verstreut worden wäre, hielt sie es für besser, es ihr schon jetzt zu geben, solange sie lebte, damit sie zusehen könne, wie Georgia sich darüber freute. Eine völlig verdatterte Dorothy ließ den Löffel in ihre Lemon-Pawlowa fallen, wo er im Baiser versank,
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