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Kuessen al dente - Roman

Kuessen al dente - Roman

Titel: Kuessen al dente - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Nelson
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Pünktlichkeit
    Ihr Fuß berührte den Kelim, den ihre Eltern ihr von einer Türkeireise mitgebracht hatten, als Geschenk zum Abschluss ihrer gastronomischen Ausbildung. Georgia war überrascht gewesen, dass ihr der Teppich so gut gefiel, und hatte ihr leicht ethnisch angehauchtes Zimmer entsprechend der zarten Blau-, Rot- und Grüntöne des Teppichs eingerichtet. Das Bett und der Nachttisch bestanden aus schwarz lackiertem Bambus, die Wände waren in einem dunklen Aubergine gestrichen, und von der Decke in der Zimmermitte hing eine marokkanische Laterne mit geschliffenen Glaseinsätzen. Im Bücherregal standen jede Menge Kochbücher, neben Romanen und Glenns geliebten Biografien und Geschichtsbüchern. Was nicht mehr ins Bücherregal passte, wurde an einer Wand im Wohnzimmer auf dem Boden gestapelt.
    Auf der Ankleidekommode standen zwei gerahmte Fotografien. Eine zeigte Grammy auf dem Steg von Silver Lake sitzend, das lockige Haar unter einer geblümten Badekappe verborgen und die Beine verschränkt wie Esther Williams. Das andere Foto, ein Schnappschuss von Georgia und Glenn, aufgenommen auf der Hochzeit seiner Schwester, steckte in
dem silbernen Tiffany-Rahmen, den jeder der Hochzeitsgäste als Geschenk bekommen hatte. Glenn hatte den Arm um Georgias Schulter gelegt, sein Lächeln war offen und ein wenig schief, so als hätte er gerade einen lustigen Witz gehört. In dem Frack sah er wirklich unglaublich gut aus. Georgia trug Los Diamantohrringe, ein trägerloses schwarzes Kleid und hatte sich das Haar glätten lassen, so dass es ihr in sanften Wellen über den Rücken fiel. Ihr Lächeln war echt, doch ihr Blick war deutlich auf irgendetwas hinter dem Fotografen gerichtet. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie fotografiert worden waren, und als Glenn sie gefragt hatte, was sie da so intensiv angestarrt hatte, hatte sie ihm keine Antwort geben können.
    Sie zog die Jalousien hoch und sah, dass hinter dem East River, von dem sie durch ihr Schlaf- und Wohnzimmerfenster einen winzigen Streifen ausmachen konnte, die Sonne aufging. »Mit Blick über den Fluss« hatte in der Wohnungsanzeige gestanden, und sie hatte laut gelacht, als der Makler auf das schlammig grüne Wasser des Flusses hingewiesen hatte, der von zwei riesigen Wohnblöcken fast ganz verdeckt wurde. Weil sie die Sommer ihrer Kindheit mit ihrer Großmutter in deren Blockhaus am Silver Lake verbracht hatte, war ihr dieser winzige Streifen Wasser in dieser noch unbekannten Stadt ein kleiner Trost gewesen, und sie hatte bei der Besichtigung gleich an Ort und Stelle den Mietvertrag unterschrieben.
    Unter der Woche stand sie morgens gern am Fenster und beobachtete die träge vorbeigleitenden Lastkähne – oder das wenige, was sie von ihnen sehen konnte – und fragte sich, wo sie wohl herkamen und wo sie wohl hinfuhren. »Das passt so gar nicht zu Manhattan«, hatte sie an einem der ganz wenigen Morgen, an denen sie neben Glenn aufgewacht war, festgestellt. Er war zu Hause geblieben, brütete eine Erkältung
aus und interessierte sich nicht für Schiffe oder ihre Geschichten oder wie leicht man vergessen konnte, dass die Stadt eigentlich eine Insel war.
     
    Sie schlüpfte in ihren bequemen Hausanzug und ihre Flipflops, trank das Wasserglas aus, das auf ihrem Nachttisch stand, und verließ die Wohnung. Ungewaschen, ungekämmt und nur mit fünf Dollar in der Tasche schlappte sie durch die einsamen Straßen, gefolgt von Sally, die ihr treu ergeben hinterhertrabte. In dem kleinen, rund um die Uhr geöffneten Drugstore machte sie sich auf das Schlimmste gefasst. The Daily steckte rechts von der New York Times , ein Ehrenplatz, den das Blatt beileibe nicht verdiente. Mercedes’ Restaurantkritiken waren zwar nicht die maßgeblichsten, mit Sicherheit aber die am meisten gelesenen, und ganz allein verantwortlich für mehr Restaurantschließungen als das im letzten Jahr eingeführte Rauchverbot.
    »Guten Morgen, Miss.« Der junge Inder, der den Drugstore führte, lächelte Georgia an, als sie die Zeitung hochhielt und ihren Fünfdollarschein neben die Kasse legte. »Sie sind heute ja schon früh auf den Beinen«, fuhr er mit seinem melodischen indischen Akzent fort. Er kannte sie von gelegentlichen nächtlichen Eiscremekäufen. »Einen schönen Tag noch«, wünschte er ihr und gab ihr das Wechselgeld zurück.
    »Danke«, erwiderte Georgia. »Mal sehen, wie gut er wird.«
    Wieder zurück in ihrer Wohnung, setzte sich Georgia an den nachgemachten

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