Kuessen al dente - Roman
Chippendale-Esstisch, dem man den jahrelangen Gebrauch in der Gray-Familie ansah, und blätterte die Zeitung durch, bis sie die Lifestyle-Seiten gefunden hatte. Und da war sie, unübersehbar für alle Welt: eine halbe Gabel. Und für den Fall, dass jemand sie für eine ganze Gabel halten
könnte, hatte der Grafiker noch ein ½ vor das winzige halbe Ding gesetzt. Deutlicher konnte man es nicht darstellen. Georgia biss sich auf die Unterlippe, damit sie aufhörte zu zittern.
»Ich fass es nicht«, flüsterte sie und faltete die Zeitung auf die Hälfte.
Falls Sie, wie viele andere in dieser Stadt, verzweifelt versucht haben, bei Marco eine Reservierung zu ergattern, dem – unerklärlicherweise – aktuellen Liebling der Restaurantszene, dann sollten Sie zukünftig davon Abstand nehmen. Sie könnten Ihre Zeit besser bei einem klebrigen Milchshake und einem Teller fettiger Fritten im Diner an der Ecke verbringen. (Und angesichts der astronomischen Preise bei Marco werden die Rechnung, und vielleicht auch das Essen, Ihnen um einiges mehr zusagen.) Von der supercoolen Einrichtung über die arroganten Kellner bis hin zum weit unterdurchschnittlichen Essen ist das Marco ein absolutes Must-Miss, das die launenhafte »Sehen und gesehen werden«-Gesellschaft sicherlich bald meiden wird, um sich ein heißeres (oder cooleres) Weideland zu suchen.
Ein positiver Punkt an diesem Restaurant mit Nachtclubambiente ist die recht interessante Weinkarte, aber die exaltierten Preise und Aufschläge von über vierhundert Prozent sprechen ganz klar dicke Brieftaschen und die Hollywood- beziehungsweise Soho-Szene an, und damit Leute, die es nicht kümmert, dass eine mittelmäßige Flasche Wein sie locker einen Hunderter kosten kann (oder zwei oder drei).
Georgia drehte sich schier der Magen um. Das war schlimmer, als irgendjemand erwartet hatte.
Und was das Essen anbelangt, sollte vielleicht mal jemand der Küchenchefin Georgia Gray erklären, dass Salz kein Geschmacksstoff als solcher ist, sondern ein Geschmacksverstärker. Die beherzte Verwendung von Salz ist eine Sache, aber Gray versteigt sich da in sehr gewagte Höhen. Einige ihrer Gerichte schmecken, als hätte man sie im Atlantischen Ozean gewässert und anschließend trocknen lassen. Andere sind schlicht und einfach ungenießbar, wie zum Beispiel die Rehkeule, deren Textur an Lederschuhe erinnert, mit denen man zu lange im Regen getanzt hat. Das Perlhuhn, auch für begnadetere Köche eine diffizile Angelegenheit, konnte so gar nicht beeindrucken, dargereicht in einem See aus Buttersoße an fadem Wurzelgemüse. Die Austern Marco, von unserer überheblichen, niemals lächelnden Kellnerin als Spezialität des Hauses angepriesen, entpuppten sich als grauem Fensterkitt ähnliche, glibberige Masse, aufgepeppt mit billigem, extrem sauren Balsamico und der allgegenwärtigen Faust voll Salz. Meine vier Begleiter und ich stachelten uns gegenseitig in bester »Fear Factor«-Manier an, diese die Speiseröhre verätzende Delikatesse hinunterzuschlucken, aber keiner von uns war damit erfolgreich.
Der Fairness halber muss gesagt werden, dass nicht alle Gerichte auf der Speisekarte ungenießbar waren. Die Tagesempfehlung spiegeln Grays Händchen für die einfache, rustikale Küche wider, besonders auf dem Pasta-Gebiet. Die Bresaola-Pecorino-Taglierini mit Zuckerschoten und Wildlauch sind geschmacklich recht gut, und auch das Risotto mit rotem Spargel, Artischocken und einer gesunden Portion Asiago-Käse und knusprigen, karamellisierten Schalotten kann sich sehen lassen und als gaumenfreundliche Mischung aus Geschmack und Textur bezeichnet werden. Die Polenta an Waldpilzragout, vorteilhaft mit einem würzigen Schafsmilchkäse
angereichert, ist von samtig-erdiger Konsistenz und absolut gelungen. Bei diesen vom Bäuerlichen inspirierten Gerichten ist Gray zweifellos in ihrem Element, und ich kann ihr nur den guten Rat geben, auch dabei zu bleiben. Zu den Desserts gibt es nicht viel zu sagen, sie waren alle durch die Bank langweilig, fade und ohne jeden Esprit. Wenn Sie auf einen süßen Nachspann nicht verzichten möchten, dann halten Sie sich am besten an die hausgemachte Eiscreme.
Betrachtet man die Tatsache, dass fün fundachtzig Prozent der Speisen nicht unseren Erwartungen entsprochen haben, dazu das äußerst unaufmerksame und wenig zuvorkommende Servicepersonal, das Ambiente, das an ein abgetakeltes Atlantic-City-Casino erinnert, und dann auch noch die Preise, die jene in den wahren
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