Kuessen al dente - Roman
es Köche, die aus dem Bauch und dem Herzen heraus arbeiteten. Die richtig wütend wurden, wenn ein Gericht nicht so gelang, wie sie es sich vorgestellt hatten, die beim Zerkleinern auf ihren Brettern herumhackten, als wäre dieses oder jenes Nahrungsmittel ihr persönlicher Feind, die jedoch an guten Tagen einer schnöden Kartoffel und einer Handvoll Kräutern absolut vollendete, nie gekannte Geschmackserlebnisse entlocken konnten. Wenn sie in Form waren, schlugen sie ein wie eine Bombe. Aber wenn sie versagten, war es, als stürzt ein Mammutbaum um.
Georgia gehörte zur ersteren Gattung (sie war eben doch die Tochter ihres Vaters), aber an diesem Abend ließ sie es zu, dass ihre Wut auf Glenn, auf Marco, auf Mercedes und auf deren vermutlich ahnungslose Tochter eine Leidenschaftlichkeit entfesselte, die sie normalerweise stets unter Kontrolle hielt. Die einzelnen Köche spürten ihren Gemütszustand, gingen darauf ein, jede Station spielte ihren Part in dieser unausgesprochenen Choreographie, die einer kulinarischen Sternstunde vorausgeht. Wundersamerweise geriet niemand ins Schleudern, der Springer, der überall Hand anlegte, wo er gerade gebraucht wurde, machte seinem Namen alle Ehre, die einzelnen Gänge waren genau zum richtigen Zeitpunkt fertig. Die weiße Brigade in der Küche und die schwarze Brigade
draußen im Lokal arbeiteten so selbstverständlich Hand in Hand, dass es eine wahre Freude war. Die Gäste, die Kellner, die Leute hinter der Bar, die Hostess, ja sogar die Garderobenfrau – sie alle waren so gut drauf wie selten.
Georgia stellte vier kleine Teller in die Durchreiche und rief ihre Lieblingskellnerin zu sich. »Bring das bitte Huggy Henderson, Tisch neun. Ein Gruß aus der Küche.«
»Wow. Die Kartoffel-Kaviar-Behandlung«, meinte diese nach einem Blick auf die Teller. »Die Dame muss ja echt wichtig sein.«
Wenn das Sitzen in den prestigeträchtigsten Aufsichtsräten der Stadt und die routinemäßige Erwähnung in den Gesellschaftsseiten der Tageszeitungen bedeutet, dass jemand wichtig ist, ja, dann war Huggy Henderson wichtig. Aber davon abgesehen, mochte Georgia sie auch. Diese imposante Frau mit dem Collegegirl-Spitznamen kennengelernt zu haben, war für Georgia ein echtes Highlight gewesen, das ihr die vergangenen trüben Tage ein wenig versüßt hatte. Und wie auf ein Stichwort hin fing der Pickel an ihrem Kinn an zu jucken, eine lästige Erinnerung an ihr Chubby-Chippie-Gelage von neulich.
Bernard kam in die Küche und tippte Georgia auf die Schulter. »Georgia, sag mal, was treibt ihr hier hinten in der Küche eigentlich? Das ganze Lokal ist am Ausflippen.«
»Ich musste einfach irgendwas tun.«
Ricky reckte den Kopf um den Türrahmen und versuchte einen Blick ins Lokal zu erhaschen.
»Das war kein Witz, Georgia. Das musst du dir anschauen. Tisch acht fällt förmlich über sein Essen her.«
»Das sind wahrscheinlich die Austern.«
An diesem Abend hatte sie im Alleingang die Austern à la Marco von der Speisekarte gestrichen und stattdessen serviert, was sie spaßeshalber »Austern Roc-a-fella« nannte,
eine leichte Abwandlung des Originalrezepts von Antoine’s Restaurant, bei dem sie statt Kresse Spinat genommen und klein gehackten Fenchel und einen (inzwischen legalen) Schuss Absinth dazugegeben hatte. Dieses Rezept war ein streng gehütetes Geheimnis, aber Georgia kannte es schon seit Jahren, dank eines ehemaligen Kollegen, der einst im Antoine’s gearbeitet und ihr dieses Rezept vorgelesen hatte, als handelte es sich um ein Shakespeare-Sonett. Anschließend hatte er ihr seine immerwährende Liebe und Ergebenheit gestanden und danach sein Gesicht in eine Schüssel Remouladensoße fallen lassen. Diesen Koch hatte sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen, doch an das Rezept erinnerte sie sich noch genau.
Eine Kellnerin kam in die Küche. »Die überaus wichtige Huggy Henderson verlangt nach dir. Ich weiß, dass Marco das nicht mag, aber ich dachte, vielleicht nur dieses eine Mal.«
»Na, geh schon, Georgia.« Bernard gab ihr einen höflichen Schubs. Sie wussten beide, dass ihr Schicksal im Marco so gut wie besiegelt war.
Huggy Henderson hielt an Tisch neun Hof, ein Ecktisch, der in sanftes Licht getaucht war – weit genug von der Bar und der Servicestation entfernt, dass es beinahe intim war, dabei jedoch so zentral, dass andere Gäste unwillkürlich die Hälse reckten, um zu sehen, wer an diesem Tisch geladen war, an dem sie selbst nie sitzen würden. Tisch neun
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