Kuessen al dente - Roman
Teamgeist stärkendes Wochenende in einem Wellness-Tempel? Oder tut es vielleicht auch ein Trommel-Workshop?« Ricky gab sich keine Mühe, seine Wut auf Marco zu verbergen.
Vor einigen Monaten waren Rickys Eltern aus Kalifornien angereist, um ihren Sohn zu besuchen. Als die in die Jahre gekommenen Hippies mit dem typischen Geruch nach Patschuli und handgesponnener Schafwolle eines Abends im Marco auftauchten, waren sie zunächst geflissentlich übersehen und dann mindestens ein halbes Dutzend Mal aufgefordert
worden, ihren Nachnamen – Smith – zu buchstabieren, ehe man sie schließlich an einen winzigen Tisch in der Nähe der Toiletten verfrachtet hatte. Das alles geschah auf Anweisung von Marco, der die beiden ausgiebig gemustert hatte, von den bunten Häkelmützen bis hinunter zu ihrem ergonomischen Schuhwerk. Während Georgia ihre eigenen Gründe hatte, Marco nicht zu mögen, würde Ricky es ihm nie verzeihen, dass er seine Eltern derart beleidigt hatte.
Ricky ging nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen, Georgia in den Umkleideraum, um sich ihre Arbeitsklamotten anzuziehen. Das winzige Kabuff war leer. Auf der einen Seite standen ein paar Metallspinde, hinter der Tür hing ein billiger Plastikspiegel. An einem ihrer ersten Arbeitstage hatte Marco den Spiegel vom Haken gerissen, ein Kokain-Briefchen darauf ausgeleert und den Stoff mit seiner Kreditkarte zu feinem Pulver gehackt, während Georgia daneben gestanden und so getan hatte, als wäre es völlig normal, dass ihr neuer Boss in ihrem Beisein Koks schnupfte. Als er ihr eine Nase anbot, hatte sie höflich gelächelt und etwas von wegen sie müsse gleich zurück in die Küche, gemurmelt. Natürlich hatte sie gewusst, dass die Gastronomie ein ziemlich verrücktes Gewerbe war, aber erst bei Mario sollte sie die ganze Bandbreite an Ausschweifungen kennenlernen. Als sie Glenn die Geschichte später erzählte, zeigte der sich gänzlich unbeeindruckt. »Im Restaurant?«, war der einzige Kommentar, der ihm dazu eingefallen war.
Bevor auch die anderen hereindrängten, schlüpfte Georgia in eine formlose Stoffhose, ihre weiße Kochjacke und schwarze Clogs, ein Outfit, das wahrlich nicht dazu angetan war, dass sich jeder nach ihr umdrehte. Doch mit ihren dreiunddreißig Jahren konnte sie sich nicht beklagen. Sie war groß und schlank und hatte nichts Pummeliges mehr an sich; nicht
zuletzt dank ihres konsequenten Jogging-Programms, das sie dreimal die Woche rund um den See absolvierte. Sie hatte grüne Katzenaugen und eine makellose helle Haut, die sich bei der kleinsten Anstrengung rosig verfärbte. Ihre Nase, lang und schmal, hätte ihr ein aristokratisches Flair verliehen, wäre da nicht der kleine Buckel am Nasenrücken gewesen, der ihr von einem Rollschuhsturz in ihrer Kindheit geblieben war. Ein Freund aus dem College hatte einmal bemerkt, sie sehe aus wie den Seiten eines viktorianischen Romans entstiegen, wie eine echte englische Lady, mit Sonnenschirm und allem Drum und Dran. Nur ihr Haar passte nicht in dieses Bild. An guten Tagen ringelte es sich zu wilden Locken, im Sommer und in der heißen Küche hatte ihre Frisur fatale Ähnlichkeit mit einem Wischmopp. Das war auch der Grund, warum sie gerade vor dem Spiegel stand und gewissenhaft versuchte, ihre dunkelbraune Mähne zu bändigen. Zwischen ihren Lippen klemmten zwei Haarspangen, ihre Augen waren konzentriert zusammengekniffen.
»Georgia, ich habe dich überall gesucht.« Sie fuhr herum und sah sich Marcos – Boss, Gastronom, ehemaliger Küchenchef und ihr Liebhaber für eine Nacht – perfektem Gesicht mit den markanten Wangenknochen, den vollen Lippen und der sonnengebräunten Haut eines drittklassigen Fernsehstars gegenüber.
»Oh, Marco.« Die Haarspangen fielen mit einem kaum hörbaren Ping auf den Boden.
»Und, wie geht’s? Beschäftigt mit der Hochzeitsplanung?«
Wenn Georgia etwas nicht ausstehen konnte, dann mit ihrem One-Night-Stand und jetzigen Boss über ihre bevorstehende Hochzeit zu plaudern.
»Ja, läuft super.« Sie bückte sich, um die Haarspangen aufzuheben.
»Freut mich zu hören, Georgia.« Er fing ihren Blick auf und hielt ihn eine Sekunde zu lang. »Bernard hat dir also das mit Mercedes Sante erzählt?«
»Aber sicher doch. Klingt aufregend.« Sie strich ihre Locken hinter die Ohren, doch sie sprangen augenblicklich wieder nach vorn. »Ich bin sicher, dass alle hier sich größte Mühe geben werden.«
»Darüber wollte ich mit dir reden.« Er schaute auf seine
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