Kuessen Auf Eigene Gefahr
«Dir ist aber schon klar, dass ich nie deine Freundin geworden wäre, wenn ich damit gerechnet hätte, dass du so lange Zeit keinen umlegst.»
Trinity grinste. Reina war ein vielversprechendes Nachwuchstalent des Todes und sie beschäftigte sich nun mal gerne mit allem, was tot war. Darum hatte sie sich gleich zu Trinity hingezogen gefühlt. «Na, da bin ich aber froh, dass du mich so falsch eingeschätzt hast.»
Reina zwinkerte ihr zu. «Ich auch. Dein engelsgleiches Betragen ist zwar bestimmt nicht gut für meine Karriere, aber du bist trotzdem Spitzenklasse.»
«Amen, Schwester.» Trinity hatte bereits ihr Päckchen im Leben zu tragen, aber Reina gehörte, weil sie Leute ins Jenseits karrte, auch nicht zu den sonderlich beliebten Mädchen. Die meisten Menschen und Wesen der Anderswelt konnten die Aura des Todes, die sie umgab, spüren und hielten sich instinktiv von ihr fern.
Zugegeben, als die temperamentvolle fremde Frau eines Tages mit einem Schokoladenkuchen und einem Freundschaftsangebot vor ihrer Wohnungstür aufgetaucht war, war selbst Trinity die Sache nicht ganz geheuer gewesen. Aber am Ende hatte sie der Versuchung dann doch nicht widerstehen können, eine Freundin zu haben, die wusste, was sie war, und sie trotzdem gern hatte – auch wenn Reina nebenbei eigennützige Interessen verfolgte und aus Trinitys Fehlern Profit schlug.
Das Resultat war eine perfekte, dauerhafte Freundschaft zwischen zwei Freaks.
Reina beugte sich vor. «Also, am Sonntagabend um Viertel nach sieben läuft der Fluch der Schwarzen Witwe aus, richtig?»
«Ja, vorausgesetzt, ich tue bis dahin niemandem etwas an.» Seit sie sich vor fünf Jahren dazu gezwungen hatte, ihre letzte große Liebe im Leichenschauhaus zu besuchen – in dessen Halsschlagader immer noch ihre Eiswaffel gesteckt hatte –, hatte sich dieses Datum in ihren Geist eingebrannt. Sie hatte über dem nach Pfefferminz-Schokoladenchip-Eis duftenden Körper gestanden und ihm geschworen, dass sie den Teufelskreis durchbrechen würde und nie mehr jemand Opfer der Finsternis werden würde, die in ihren Adern zirkulierte. Der Fluch der Schwarzen Witwe war nicht endgültig. Wenn Trinity es schaffte, fünf Jahre niemanden zu töten, dann würde er verschwinden.
Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich diesen Fluch eingefangen hatte. Niemand wusste das. Als sie noch ein Baby war, hatte man sie entführt, und als die Polizei sie sechs Monate später in einer Tierhandlung friedlich schlummernd in einem Berg Hundewelpen wiedergefunden hatte, wusste niemand, was mit ihr geschehen war.
Bis sie sechzehn wurde und sich zum ersten Mal verliebte. Von da an brauchten Trinity und ihre Eltern nicht mehr lange, um herauszufinden, was mit ihr passiert war. Das Internet bot alle nötigen Informationen, um zu begreifen, was mit ihr nicht stimmte und wie sie damit fertig werden konnte.
Diagnose: fieses männermordendes Miststück (seufz).
Behandlung : Abstinenz. (Ja ja, das ist ja so einfach. Von wegen. Das ist viel schwerer, als sich Koffein oder Zigaretten abzugewöhnen. Ihr glaubt mir nicht? Nehmt eure schlimmste Angewohnheit und versucht, sie loszuwerden. Gar nicht so leicht, was? Und eure Zwänge werden noch nicht einmal von einer bösartigen, übernatürlichen Macht ausgelöst).
Ungünstigste Prognose: Wenn sie fünf Mal tötet, bleibt sie für immer eine Mörderin. (Bis jetzt vier. Die ersten Jahre waren wirklich hart …).
Günstigste Prognose: Wenn sie es schafft, fünf Jahre niemanden zu töten, ist sie für immer frei. (Noch eine Woche durchhalten).
Sie war bereit für den großen Tag, aber sie wusste, dass der Fluch sie nicht so einfach davonkommen lassen würde.
«Also, in meiner Position als Assistentin des Todes befürworte ich selbstverständlich Morde jeder Art, aber als deine Freundin hoffe ich wirklich, dass du dein Ziel erreichen wirst.» Reina zwirbelte ihr Weinglas zwischen Daumen und Zeigefinger. «Ich habe mit dem Tod gesprochen und er hat uns sein Ferienhaus in Minnesota angeboten. Wir könnten uns eine schöne Mädelswoche machen, blöde Filme gucken und den Männern aus dem Weg gehen.»
«Oh, wow.» Der Gedanke, allem entfliehen zu können, löste ein Gefühl der Erleichterung in Trinitys Brust aus. «Das klingt so toll.»
«Fantastisch.» Reina nahm ihr iPhone und wählte. «Ich rufe ihn schnell an und sage ihm Bescheid. Ich möchte vermeiden, dass seine Haremsweiber dort herumlungern, wenn wir ankommen –»
Trinity legte ihre Hand auf das Telefon.
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