Kuessen kann schon mal passieren
türmten sich zu lustigen Figuren auf. Wir brauchten knappe zwanzig Minuten, um aus unserem Städtchen zu kommen, dann bogen wir in einen Schotterweg und waren kurz darauf am Deich. Zu unserer Rechten schlängelte sich die Elbe durch die Landschaft, davor grasten friedlich Schafe.
Luca schien heilfroh zu sein mich dabeizuhaben, seinen persönlichen Navi, der jede abzweigende StraÃe, jeden Grashalm, jedes Schaf kannte, und je länger wir den Fluss entlangradelten, desto mehr schien sich seine Stimmung zu heben. Als gäbe es keine Person namens Giulia, sondern lediglich den Deich, die gute Luft und unser Lachen, das ab und zu in den Himmel stieg.
Die Blumen abzuliefern war eine Sache von wenigen Minuten. Danach steuerte Luca eine Dorfbäckerei an, kaufte Kuchen und balancierte das Paket zu einer Bank unter einer Kastanie.
»Kirsche? Vanillecreme? Rhabarber?«, fragte er, nachdem er das Papier aufgeschlagen hatte.
»Vanillecreme. Was für eine Frage!« Ich stibitzte mir das Kuchenstück aus der Mitte und biss so gierig hinein, dass die Creme hervorquoll und über meine Finger kleckerte.
»Find ich echt toll«, murmelte Luca, während er sich über den Kirschkuchen hermachte.
»Was?«
»Dass du nicht so eine Diätziege wie Giulia bist.«
»Giulia! Du hast Giulia gesagt! Du darfst nicht Giulia sagen! Niemand darf das!«
»Du aber auch nicht. Und schon gar nicht dreimal hintereinander.« Luca formte seine Hände zu einem Trichter und brüllte: »Giulia! Giulia!« Dann wischte er sich den Mund ab und erklärte: »So. Jetzt sind wir quitt.«
»Auf jeden Fall hast du ihren bösen Geist verscheucht.«
Luca pickte Krümel mit dem Zeigefinger auf. »Glaubst du an Geister?«
Ich schüttelte den Kopf.
»An andere auÃerirdische Wesen?«
»Nö.«
»An Gott?«
»Hm«, machte ich, um Zeit zu gewinnen. Was sollte ich antworten? Ich wusste ja selbst nicht so genau, was ich glaubte. »Nein, eigentlich nicht«, sagte ich nach etlichen Sekunden. »Und du?«
»Geister â nein. AuÃerirdische â vielleicht. Gott â ja«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
Ich sah Luca über meine Cremeschnitte hinweg an.
»Bin katholisch«, fügte er hinzu. »Sorry.«
»Dafür musst du dich doch nicht entschuldigen.«
»Aber vielleicht dafür, dass ich Giulia am liebsten â¦Â« Er brach ab, hielt sich die Hand vor die Augen. »Sich rächen zu wollen ist ziemlich unchristlich, oder?«
Ich würgte meinen Kuchenbrei runter. »Das ist nicht nur unchristlich, das ist total bescheuert. Vielleicht hat sie sich einfach in diesen Giancarlo verliebt. Kann doch passieren.«
Lucas Schultern zuckten. Er schaute weg, und als sein Blick mich wieder streifte, hatten seine Nutella-Augen plötzlich die Farbe von Karamell. »Warst du schon mal verliebt? So richtig? Total? Hundert Prozent?«
»Nein«, antwortete ich verlegen. Irgendwie schämte ich mich, weil ich in Sachen Liebe noch ein unbeschriebenes Blatt war. Keine Erfahrungen, null, nichts. Das machte mich nicht besonders interessant.
Luca schien überrascht zu sein. »Aber ein bisschen verliebt warst du schon mal, oder?«
»Auch nicht.«
»Dann hattest du zumindest mal einen Schwarm.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wieso nicht? Sind denn alle Jungs nur uninteressante Flaschen mit Pickeln und Bartflaum?«
Ich musste lachen. »Vielleicht? Keine Ahnung. Es war eben noch nicht der Richtige dabei.«
Luca musterte mich eindringlich. »Das Dumme ist nur, dass man niemandem ansehen kann, ob er der Richtige ist oder nicht. Manchmal glaubst du am Anfang, das ist sie, die groÃe Liebe, und nach ein paar Wochen â puff â ist die Luft raus. Oder umgekehrt: Die Richtige steht vor dir, aber du schnallst es einfach nicht.«
»Klingt kompliziert.« Ich brach mir ein Stück vom Rhabarberkuchen ab. »Dann ende ich doch besser gleich als ungeküsste Jungfer.«
»Das ist jetzt nicht dein Ernst!« Luca sah mich wie einen schockgefrosteten Höhlenmenschen an. »Du hast noch nie jemanden geküsst?«
Da war er also wieder, der arrogante Lackaffe.
»Nein, hab ich nicht und jetzt Themawechsel«, entgegnete ich verschnupft.
»Hm.« Er grinste. Grinste breiter. Grinste ganz schrecklich, bis er wie eine Witzfigur aussah. Dann sagte er: »Falls
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