Küssen will gelernt sein: Roman (German Edition)
Weimaraner.
Die Innenstadt von Truly rühmte sich zweier Lebensmittelgeschäfte, dreier Restaurants, vierer Kneipen und einer erst vor Kurzem installierten Verkehrsampel. Das »Valley View«-Autokino war seit fünf Jahren wegen mangelnden Geschäftsbetriebs geschlossen, und einer von zwei Schönheitssalons, Glorias VorHair-NachHair, hatte im Monat zuvor wegen Glorias
unerwarteten Ablebens dichtgemacht. Die 136-Kilo-Frau hatte einen massiven Herzinfarkt erlitten, während sie Mrs Hillard die Haare wusch und legte. Die arme Mrs Hillard hatte davon immer noch Albträume.
Das alte Gerichtsgebäude befand sich neben der Polizeiwache und dem Forstamt. Drei Kirchen – Mormonen, Katholiken und Wiedergeborene Christen – wetteiferten um die Seelen der Einwohner. Das neue Krankenhaus war direkt neben der integrierten Grund- und Hauptschule erbaut worden, doch die berühmteste Institution der Stadt, Mort’s Bar, lag im älteren Teil Trulys, an der Hauptstraße zwischen der Eisenwarenhandlung Value und dem Restaurant Panda.
Mort’s war viel mehr als nur eine Kneipe, in der man sich volllaufen lassen konnte, berühmt für sein kühles Coors und die stattliche Sammlung von Geweihen. Hirsch-, Wapiti-, Antilopen-und Elchköpfe schmückten die Wand über der Bar, und ihre prachtvollen Stangen waren mit bunten Damenslips verziert: Bikinihöschen, Schlüpfer und Tangas in allen Farben, signiert und datiert von der betrunkenen Spenderin. Vor Jahren hatte der Besitzer neben den Elch einen Wolpertinger-Kopf genagelt, doch keine anständige Frau, ob nun nüchtern oder betrunken, wollte ihre Unterhose von etwas baumeln sehen, das so dämlich aussah wie ein Wolpertinger, und so war der Kopf rasch ins Hinterzimmer verbannt worden und hing jetzt über dem Flipper.
Delaney war noch nie bei Mort’s gewesen. Vor zehn Jahren war sie noch zu jung dafür. Als sie jetzt in einer Nische im hinteren Teil saß und an ihrem Margarita nippte, wunderte sie sich, warum es so beliebt war. Von der Wand über der Bar mal abgesehen, war Mort’s wie hundert andere Bars in hundert anderen Kleinstädten auch. Das Licht war schummerig, die Jukebox dudelte ununterbrochen, und der Geruch von Tabak
und Bier durchdrang alles. Man kleidete sich zwanglos, und Delaney fühlte sich in Jeans und einem Mossimo-T-Shirt pudelwohl.
»Hast du je deine Unterhose gespendet?«, fragte sie Lisa, die ihr in der blauen Vinylnische gegenübersaß. Schon wenige Minuten nach dem Wiedersehen mit ihrer alten Freundin unterhielten sich die beiden so zwanglos, als seien sie nie getrennt gewesen.
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete sie, und ihre grünen Augen blitzten verschmitzt. Lisas ungezwungenes Lachen und ihr heiteres Wesen hatten die beiden in der vierten Klasse zusammengebracht. Lisa war unbekümmert, ihr brünettes Haar zu einem zotteligen Pferdeschwanz zusammengebunden; Delaney verklemmt, die blonden Haare in perfekte Locken gelegt. Lisa war ein Freigeist gewesen; Delaney ein Geist, der sich danach sehnte, endlich freigelassen zu werden. Sie hatten dieselbe Musik und dieselben Filme gemocht und sich stundenlang wie Schwestern gestritten. Ihre Charaktere hatten einander ergänzt und ausgeglichen.
Nach dem Highschool-Abschluss hatte Lisa Innenarchitektur studiert, acht Jahre in Boise gelebt und daraufhin eine Anstellung bei einer Designerfirma gefunden, bei der sie die ganze Arbeit gemacht und dafür keinerlei Anerkennung bekommen hatte. Vor zwei Jahren hatte sie dann gekündigt, war zurück nach Truly gezogen und betrieb – Computern und Modems sei Dank – inzwischen von zu Hause aus ein gutlaufendes Geschäft.
Delaney musterte das hübsche Gesicht und den zerzausten Pferdeschwanz ihrer Freundin. Lisa war zwar klug und attraktiv, doch Delaney hatte immer noch die schöneren Haare. Wenn sie länger in der Stadt bliebe, würde sie sich ihre Freundin schnappen und ihr einen Haarschnitt verpassen, der ihre Augen
betonte, und ihr vielleicht ums Gesicht herum ein paar helle Strähnchen machen.
»Deine Mutter hat mir erzählt, du arbeitest als Maskenbildnerin in Scottsdale. Sie sagt, du hast prominente Kundinnen.«
Delaney wunderte sich nicht besonders über die Beschönigungen ihrer Mutter und nippte an ihrem Margarita. Gwen hasste Delaneys Beruf, womöglich weil er ihre Mutter an ihr Leben vor Henry erinnerte – das Leben, über das Delaney nie hatte sprechen dürfen, als Gwen noch den Tänzerinnen am Las Vegas Strip die Haare gestylt hatte. Doch Delaney
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