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Küstenfilz

Küstenfilz

Titel: Küstenfilz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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Rohstoff aus Polen oder Russland versorgt
werden, wenn es sich um Kohle handelt. Und auch die Weiterleitung der
›Schröder-Pipeline‹ aus Russland bis zur Schlei wäre denkbar und sogar noch
unkomplizierter.«
    Lüder musste das Kompliment, mit dem er Schmiedel
gerade eben geschmeichelt hatte, im Stillen zurücknehmen. Die Schlei war kein
Fluss, sondern ein Fjord. Der ließ sich nicht ohne Weiteres zu einem
Tiefseehafen ausbaggern. Diese Vorstellungen beruhten auf dem gleichen
Unverständnis wie »die Fahrt ans Meer«. Der Einheimische begibt sich hingegen immer
»ans Wasser«.
    »Kennen Sie Dr. Buurhove oder Willi Kwiatkowski?«
    »Meinen Sie den Anwalt aus dem Rheinland? Von dem habe
ich schon gehört, ohne ihm je begegnet zu sein. Der zweite Name sagt mir
nichts.«
    »Und Kummerow? Kiesberger? Grimm?«
    »Die Gebrüder Grimm«, scherzte Schmiedel, hielt dann
aber inne. »Warten Sie. Gibt es da nicht einen aufstrebenden Manager dieses
Namens? Ich kann ihn im Moment aber nicht unterbringen.«
    »Rasmussen? Petersen? Joost?«
    Schmiedel nickte zustimmend.
    »Petersen und Joost sind Grundbesitzer an der Schlei.
Und Rasmussen …«, jetzt lachte der kleine Mann bitter auf, »zu dem Namen muss
ich wohl keinen Kommentar abgeben.«
    Lüder notierte sich zum Schluss Konstantin Schmiedels
Personalien und kehrte zu seinem BMW zurück. Bevor er losfuhr, wählte er Frauke Dobermann an. Erst im dritten
Versuch kam er durch.
    »Was gibt’s?«, fragte die Hauptkommissarin. Ihre
Stimme klang genervt.
    »Mich interessiert, ob es neue Entwicklungen gibt.«
    »Wenig. David Joost ist wieder bei seinen Eltern. Wir
haben der Mutter das Bild von Boris Kummerow gezeigt und gefragt, ob sie den
Entführer wiedererkennt. Zugegeben – das war eine unglückliche Situation, denn
die Frau hatte verständlicherweise nur Augen für ihren Sohn und hat uns keine
verwertbare Antwort gegeben. Inzwischen haben wir die Fahndung nach Kummerow
eingeleitet. Fernsehen und Presse sind eingeschaltet. Bisher aber ohne Erfolg.
Klaus Jürgensen und sein Team sind dabei, den Unterschlupf der beiden Entführer
in Schleswig auseinanderzunehmen. Wir werden so viel Beweismaterial
zusammentragen, dass die Anklage hieb- und stichfest wird. Und? Was gibt es bei
Ihnen Neues?«
    »Nichts«, antwortete Lüder lapidar.
    Rendsburg, die lebhafte Industriestadt in der Mitte
des Nordostseekanals, hat zweifellos einige attraktive Ziele innerhalb ihrer
Mauern zu bieten. Doch keines kann auch nur annähernd mit dem Wahrzeichen der
Stadt, der Hochbrücke, konkurrieren. Die kühne Stahlkonstruktion überspannt in
einer Höhe von über vierzig Metern den Kanal und ist die wichtigste Nord-Süd-Eisenbahnverbindung.
Um vom unweit des Kanals gelegenen Bahnhof diese Höhe zu erreichen, war der Bau
einer Rampe erforderlich, auf der sich die Gleise in Form einer Schleife in die
Höhe schrauben. Der Rendsburger Stadtteil auf einer durch den Kanal im Süden
und die Eider im Norden gebildeten Halbinsel heißt demnach folgerichtig
»Schleife«. Mitten in dem ruhigen, von Rotklinkerhäusern geprägten Wohngebiet
führt im Schatten der Hochbrücke bogenförmig die Baustraße entlang.
    Lüder gingen immer noch Frauke Dobermanns Worte durch
den Kopf, dass der mutmaßliche Kindesmörder Boris Kummerow flüchtig sei und man
noch keine Spur von ihm habe. Der Mann musste davon ausgehen, dass die Bahnhöfe
und Zugverbindungen überwacht würden. Natürlich konnte er sich ein Auto stehlen.
Die Fähigkeit hatte er bereits unter Beweis gestellt, als er die beiden
Fahrzeuge für die Entführung entwendete. Es war aber nicht auszuschließen, dass
sich Kummerow noch im Lande aufhielt, denn auch seine Wohnung im fränkischen
Hersbruck war verbrannt. Ob er es wagen würde, sich in einem Hotel oder in
einer kleinen Pension zu verstecken? Kaum, denn er musste davon ausgehen, dass
sein Konterfei durch die Medien gehen würde und er Gefahr lief, dass ihn jemand
erkennen würde.
    Lüder versuchte, sich in Kummerows Situation zu
versetzen. Der Mörder musste Zeit gewinnen, denn der hohe Fahndungsdruck konnte
nur kurze Zeit aufrechterhalten werden. Dann würden große Teile der Ressourcen
der Polizei wieder für andere zwingende Aufgaben abgezogen werden und die Aufmerksamkeit
der Bevölkerung erlahmen. Was hatte Lüder neulich in einem spannenden Beitrag
über Wirbelstürme gehört? Ein Wissen, das ihm schon vorher bekannt war, jetzt
aber wieder auftauchte. Im Auge des Tornados herrscht Windstille, und man

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