Kullmann
Betroffenen nicht mehr zu helfen. Sie konnten durch ihr beherztes Eingreifen und durch Ihre Mund-zu-Mund-Beatmung Anke retten, weil sie nur bewusstlos war. Das Kind war in der Kürze der Zeit noch nicht betroffen, da der Embryo durch den Sauerstoffaustausch im Blut versorgt wurde. Das Blut ist in diesem Fall unversehrt geblieben.«
»Im wievielten Monat ist sie denn?«
»Sie ist in der dritten Woche, eigentlich eine sehr kritische Phase. Sie hat wirklich Glück gehabt, dass sie das Kind trotz dieses gefährlichen Übergriffs nicht verloren hat!«
Kullmann bedankte sich und verließ das Krankenhaus.
*
Nach drei Wochen konnte Anke zuversichtlich das Krankenhaus verlassen. In den Nächten hatte links neben ihr ständig eine jüngere Patientin gestöhnt, deren Beschwerden ihr Geheimnis blieben. Auf der anderen Seite erging sich eine ältere Dame dauernd in ihrer offensichtlichen Lieblingsbeschäftigung, einen Wald zu roden. Anke hatte selten durchschlafen können, dachte wehmütig daran, dass draußen der Frühling seine ganze Pracht entfaltete – und hatte viel Zeit für sich. Als sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, war ihr zuerst die Luft weggeblieben, glaubte sie an einen bösen, verspäteten Aprilscherz. Sie passte nicht in das Bild der werdenden Mutter, die vor Glück explodiert, wenn sie die frohe Botschaft der Schwangerschaft ereilt. Allmählich gelang es ihr, sich mit der neuen Lebenssituation anzufreunden.
Sie fühlte sich bereit, Robert als einen Menschen anzunehmen, dessen Eigenschaften in dem Kind weiterleben würden. Anfänglich schmerzte sie die Vorstellung, dass ihr Kind ohne den Vater aufwachsen müsste. Aber in den Krankenhaustagen wuchs auch ihr Verständnis für seine Entscheidung. Die schwelende Hoffnung auf Verzeihen und Versöhnen wich ihrer Einsicht, dass sie ihn mit einem maßlosen Verdacht von ihrer Seite weggejagt hatte. Aber das Kind würde sie immer an die schöne Zeit vor dem Bruch erinnern – wie ein bleibendes Geschenk, das ihr niemand nehmen könnte.
In ihrer Wohnung lag ein Brief auf dem Boden, unter der Tür durchgeschoben. Neugierig hob sie den Brief auf, öffnete ihn und las ihn. Er war von Kullmann. Darin bat er sie, im Büro vorbeizukommen, sobald sie das Krankenhaus verlassen hätte. Er habe mit seinem Abschied auf ihre Rückkehr gewartet, schrieb er, und wolle diese kleine Feier auf keinen Fall ohne sie begehen.
Darüber freute sie sich sehr. Bevor sie ihre Taschen auspackte, rief sie ihren ehemaligen Chef an und teilte ihm mit, dass sie am nächsten Tag wieder ihre Arbeit antreten werde.
Aufgeregt betrat sie an diesem Tag das Büro. Es gab mehrere Gründe, warum es kein Tag wie die anderen war, denn heute gab Kullmann endgültig seinen Abschied. Seine Entscheidung war unwiderruflich. Sein Nachfolger war schon im Dienst und mit ihm war eine Kollegin gekommen, die die Nachfolge von Hübner antreten sollte. Alle diese Veränderungen machten Anke nervös, weil sie die Einzige in der Abteilung war, die die neuen Mitarbeiter noch nicht kannte.
Als sie durch den langen Flur zu ihrem Büro ging, bemerkte sie als erstes, dass das Namensschild von Kullmanns Tür schon entfernt war. Dort stand nun Dieter Forseti. Sie wollte sich gerade von der Tür wieder wegdrehen und in ihr eigenes Zimmer gehen, das direkt gegenüberlag, als diese aufging und ein großer, hagerer Mann vor ihr stand.
»Sie sind bestimmt Anke Deister«, sprach er distinguiert.
Anke nickte.
Er bat sie, in sein Büro einzutreten.
Dort war alles verändert worden, sogar das Mobiliar. Ein neuer Schreibtisch stand direkt vor dem Fenster, sodass der Besucher nicht das Gesicht seines Gegenübers erkennen konnte, weil das Licht, das durch das Fenster fiel, blendete. Die bequemen Stühle waren ersetzt durch unbequem aussehende, moderne Stühle, es gab keinen Teppich. Am meisten fehlten ihr Kullmanns Bilder. Stattdessen hingen dort Auszeichnungen von Dieter Forseti, die ihn als hervorragenden Polizisten mit allen Eigenschaften eines Profis und allen möglichen Ausbildungen, Spezialausbildungen und Diplomen würdigten.
Angeber, war Ankes erster Gedanke. Als sie in das Gesicht ihres neuen Chefs sah, fand sie ihren ersten Eindruck bestätigt. Dieser Mann wirkte auf sie unnahbar und kalt.
»Ich möchte Ihnen die Überraschung ersparen, deshalb habe ich auf Sie gewartet, bevor Sie in Ihr Zimmer gehen«, sprach Forseti.
Anke ahnte Schreckliches.
»Ich habe vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden eine Kollegin
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