Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur
sein, sondern lediglich ehrgeizig.
Aber ich habe hier nicht anders gelebt als dort, indem ich stets
versuchte, anderen nicht weh zu tun, und mich bemühte, einfach
nur ich selbst zu sein; und ich kann nicht ich selbst sein, wenn ich
ein Schiff voller Leute zerstöre, selbst wenn es sich dabei um
einige der Herrscher dieser grausamen und gefühllosen
Gesellschaft handelt. Ich kann die Pistole nicht benutzen; ich
muß verhindern, daß Kaddus und Cruizell mich finden. Und
ich werde auch nicht mit gesenktem Kopf zur Kultur
zurückschleichen.
Ich leerte das Glas Jahl.
Ich mußte mich aus dem Staub machen. Es gab andere
Städte, andere Planeten außer Vreccis; ich mußte nur
weglaufen, weglaufen und mich verstecken. Ob Maust jedoch mit mir
kommen würde? Ich sah wieder auf die Uhr; er war schon eine
halbe Stunde überfällig. Das war überhaupt nicht seine
Art. Warum verspätete er sich? Ich ging zum Fenster, sah auf die
Straße hinunter, hielt nach ihm Ausschau.
Ein Patrouillenfahrzeug der Polizei ratterte durch den Verkehr. Es
handelte sich nur um eine Routinefahrt; die Sirenen waren
abgeschaltet, die Kanonen eingefahren. Es war unterwegs zum Viertel
der Fremdweltler, wo die Polizei in letzter Zeit immer wieder ihre
Kraft zur Schau stellte. Nirgends eine Spur von Mausts anmutiger
Gestalt, die sich graziös durch die Menge zu bewegen
pflegte.
Immer diese Sorgen! Daß er überfahren worden sein
könnte, daß die Polizei ihn im Club festgenommen haben
könnte (wegen anstößigen Verhaltens, Erregung
öffentlichen Ärgernisses, Homosexualität –
welches schwerwiegende Verbrechen; schlimmer noch, als seinen
Zahlungsverpflichtungen nicht nachzukommen!) und natürlich die
Sorge, daß er jemand anderes kennenlernen könnte.
Maust. Kehre wohlbehalten heim, bitte, komm zu mir nach Hause!
Ich erinnere mich, daß ich mir betrogen vorkam, als ich
gegen Ende meiner Umwandlung mich immer noch zu Männern
hingezogen fühlte. Das war lange her, als ich in der Kultur noch
glücklich war, und wie viele andere Leute hatte ich mich
gefragt, wie es wohl sein mochte, jemanden meines eigenen
ursprünglichen Geschlechtes zu lieben; es erschien mir
schrecklich ungerecht, daß sich mein Verlangen nicht
entsprechend meiner neuen Physiologie veränderte. Es bedurfte
einer Person wie Maust, um mir das Gefühl zu geben, daß
ich nicht betrogen worden war. Maust machte alles besser, Maust war
der Odem, den ich zum Leben brauchte.
Jedenfalls hätte ich in dieser Gesellschaft keine Frau sein
wollen.
Ich beschloß, daß ich noch etwas zu trinken nötig
hatte. Ich ging am Tisch vorbei.
»…beeinflußt die Zielstabilität der Waffe in
keiner Weise, obwohl der Rückstoß sich analog zur
Kraftsteigerung oder Kraftverminderung verhält…«
»Halt die Schnauze!« brüllte ich die Waffe an und
unternahm einen linkischen Versuch, auf ihren Aus-Knopf zu schlagen;
statt dessen stieß meine Hand gegen den gedrungenen Lauf der
Pistole. Die Waffe rutschte über den Tisch und fiel zu
Boden.
»Warnung!« schrie die Pistole. »Ich habe im Innern
keine vom Benutzer bedienbaren Teile eingebaut! Nicht
rückgängig zu machende Unbrauchbarkeit wäre die Folge
jedes Versuchs der Demontage oder…«
»Schweig, du kleines Miststück«, sagte ich (und es
schwieg). Ich nahm es auf und steckte es in die Tasche einer Jacke,
die über einem Stuhl hing. Verdammt sollte die Kultur sein;
verdammt sollten alle Waffen sein! Ich goß mir noch einen Drink
ein und spürte eine innere Schwere, als ich erneut auf die Uhr
sah. Komm nach Hause, bitte, komm nach Hause… Und dann komm mit
mir, geh weg mit mir…
Ich schlief vor dem Bildschirm ein; ein Klumpen dumpfer Angst in
meinem Bauch befand sich im Wettstreit mit dem Empfinden, daß
sich alles um mich herum drehte, während ich die Nachrichten
ansah und mir Sorgen wegen Maust machte und versuchte, nicht an
zuviel zu denken. Die Nachrichten handelten hauptsächlich von
hingerichteten Terroristen und ruhmreichen Siegen in kleinen, fernen
Kriegen gegen Andersrassige, Fremdweltler, Untermenschen. Im letzten
Bericht, an den ich mich erinnere, ging es um einen Aufstand in einer
Stadt auf einem anderen Planeten; es wurde nichts von Toten unter der
Zivilbevölkerung erwähnt, doch ich erinnere mich an die
Aufnahme einer breiten Straße, auf der jede Menge
verschrumpelter Schuhe herumlagen. Die Reportage endete mit dem
Interview eines verletzten Polizisten im Krankenhaus.
Ich hatte meinen immer wiederkehrenden Alptraum und
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