Kumpeltod: Nachtigalls achter Fall (German Edition)
lösen
wollen! Sie konnte von Glück sagen, dass ihr Teamleiter gerade noch rechtzeitig
vor Ort war.
Hansen besuchte gleich am
Morgen die Kollegen in ihrem Büro.
»Ich
habe gehört, der Fall ist abgeschlossen. Gratuliere. Aber ihr habt ganz schön
Federn gelassen.«
»Ja,
haben wir. Das nächste Mal überlassen wir so ein kompliziertes Ding lieber
deinen kompetenten Händen«, feixte Nachtigall.
»Deine
neue Kollegin will zu mir wechseln. Wusstest du das schon?«
»Nein.
Aber noch ist sie krankgeschrieben. Vielleicht überlegt sie es sich, wenn sie
wieder ohne Krücken gehen kann.«
»Das
Team Nachtigall steht jedenfalls für Action.«
»Nun
schuldet ihr mir aber noch eine Erklärung.« Hansen zog sich einen Stuhl heran.
»Komm
in einer Stunde wieder, Tobi. Ich habe einen Gesprächspartner drüben im
Verhörraum.«
Hansen
nickte kurz. »Ich warte.«
Maik Grendke wartete auch.
»Sie
sind über Ihre Rechte belehrt worden. Der Pflichtverteidiger ist auf dem Weg.
Wir könnten aber schon anfangen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Ist
okay.« Grendke war wegen der abgeschnittenen Zungenspitze nur schwer zu
verstehen. Es war deutlich zu sehen, wie sehr er sich um eine gute Artikulation
bemühte.
»Vor 20
Jahren fing die ganze Sache an. Erzählen Sie uns, was damals passierte.«
»Wir
haben uns mit Mädchen verabredet gehabt. Die waren total fasziniert von der
Förderbrücke, von der Macht des Mannes, der sie bediente. Heiner war bei
solchen Aktionen meist nicht dabei. An dem einen Abend, wir haben auf die
Mädchen gewartet, verhielten wir uns ganz still, weil solche Besuche natürlich
verboten waren. Da flog plötzlich ein Koffer über die Kante und landete ein
bisschen tiefer im Hang. Wir natürlich hin. Der Koffer war mit einem Schloss gesichert.
Die Mädchen waren vergessen. Wir sind sofort abgehauen und haben das Ding
mitgenommen.« Er trank einen großen Schluck Wasser.
»In dem
Koffer waren Drogen.«
Der
junge Mann nickte. »Genau. Wir haben überschlagen, wie viel das Zeug wohl wert
war. Aber genau kannte sich da keiner von uns aus. Am nächsten Tag haben wir
erfahren, dass der Achim verschwunden ist. Wir brauchten nur zwei und zwei – na ja.
Den Schuss hatten wir nicht gehört. Aber der Achim hat wohl den Koffer in
letzter Sekunde weggeworfen.«
»Sie
haben einen Kontaktmann ausfindig gemacht.«
»Ja.
Der wollte, dass wir nach Afrika fliegen. Das konnte aber nur einer. Das Los
fiel auf mich. Toll!«
»Aber
etwas hat nicht funktioniert. Der Kontakt war ein Fake.«
»Das
wusste ich aber nicht. Tillmann hatte mir das Los zugeschustert.«
Nachtigall
musterte das zerklüftete Gesicht des Mannes, der heute Mitte 40 war. Wäre er
ihm zufällig begegnet, hätte er ihn auf Mitte 70 geschätzt. Die Augen lagen
tief in den Höhlen, waren weit aufgerissen, als sähen sie immerzu ein Grauen.
Das verlieh dem Gesicht etwas Unheimliches. An jeder Hand waren nur einzelne
Finger verblieben. Links zwei, rechts drei. Die Haare waren an vielen Stellen
ausgegangen, dort leuchtete vernarbte Haut hervor. Jede Körperstelle, die nicht
von Kleidung verdeckt war, wies Spuren vergangener Verletzungen auf.
»Man
verschleppte mich auf einem Touristenausflug. Hielt mich all die Jahre
gefangen. Ich wurde regelmäßig den Knechten vorgeführt, die mir Fragen
stellten, die ich nicht verstand. Keine Antwort bedeutete schwere Strafe.« Er
zuckte zusammen, als erwarte er selbst hier einen Schlag aus dem Hinterhalt.
»Es gab
einen Putsch und Sie konnten entkommen.«
»Genau.
Ich wollte zurück zu meiner Familie, meinen Freunden. Klären, warum in all den
Jahren niemand gekommen war, um mich zu retten. Auf der Überfahrt hatte ich
viel Zeit nachzudenken. Und ich begriff ganz langsam, was geschehen war.
Während ich geschwiegen und nie einen Namen genannt hatte, war ich von den
anderen einfach abgeschrieben worden.«
Sein
Gesicht verzerrte sich zu einer schrecklichen Grimasse.
Er
ballte die Restfinger der zerstörten Hände zur Faust.
»Es war
kein gutes Gefühl. Kaum an Land kehrte ich nach Brieskowitz zurück.«
»Das
glaube ich nicht. Ich denke, dass Sie einige Zeit gebraucht haben, um mit sich
ins Reine zu kommen«, widersprach Nachtigall. »Sie waren 20 Jahre lang fort.
Ohne Nachrichten, ohne Kontakt zur Außenwelt. Ich gehe davon aus, dass Sie sich
erst zurechtfinden mussten.«
Der
geschundene Körper, mager, aber dennoch kräftig und drahtig, begann sich zu
winden.
»Ich
bin untergekrochen. Das muss
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