Kumpeltod: Nachtigalls achter Fall (German Edition)
es zu den beiden
Beamten herüber.
»Meinst
du, sie hat noch mehr Kinder zu betrauern? Ein totes Enkelkind?«, flüsterte
Nachtigall betroffen.
Wiener
zuckte mit den Schultern. »Ich lebe ja auch nicht hier. Und Freunde aus der
Ecke habe ich auch nicht. Wir werden es erfahren.«
Offensichtlich
hatte die Nachbarin inzwischen erkannt, dass ihr Hinweis möglicherweise nicht
verstanden worden war. Unerwartet tauchte ihre grüngefärbte Dauerwelle am
Gartenzaun auf.
Eine
Kittelschürze, registrierte Peter Nachtigall fast ein wenig wehmütig, die war
schon zu Tante Ernas Zeiten aus der Mode. Jedenfalls hatte er sie nie eine
tragen sehen.
»Seit
sie ihren geliebten Lukas verloren hat, ist nichts mehr los mit ihr. Erst der
Mann und dann der kleine Liebling. Das war wohl zu viel für sie. Ach,
Entschuldigung, mein Name ist Hermine Schildermacher.«
»Frau
Johns Mann ist im Sommer verstorben, nicht wahr? Ich habe das gerade erst
erfahren.«
Michael
Wiener staunte nicht schlecht. Peter musste nur freundlich lächeln. Schon war
das Eis gebrochen und aus den Leuten sprudelten die Informationen.
»Ach
Gott, ja! Es war nun wirklich kein schönes Sterben. Der Alkohol eben. Ist ja
auch kein Wunder. Immerhin hat er fast sein ganzes Leben im Tagebau
gearbeitet.«
Wiener
sah ratlos von einem zum anderen. Gab es diese unheilvolle Verbindung
tatsächlich, oder war die eher ein Gerücht?
»Ja – der
Fluch des Kontingents. Trinkschnaps. Aber nach der Wende gab es das ja nicht
mehr.«
»Zum
Glück. Dieses Schachtwasser hat so vielen Kumpeln Unglück gebracht. Und die
arme Hedwig musste das all die Jahre ertragen. Erst den besoffenen Ehemann, der
oft genug nur noch grunzend in der Ecke lag, einnässte und einkotete wie ein
Baby – dann den Abhängigen, der mit dem verbilligten Kontingent nicht
auskam und von dem schmalen Lohn noch was für seine Sauferei abzwackte, den
prügelnden Widerling, der sie selbst dann noch grün und blau drosch, wenn sie
schon wieder trächtig war. Und die Gören hat er auch nicht verschont! Am Ende
war er nur mehr ein Häufchen Elend. Die Leber hat nicht mehr mitgespielt, Ofen
aus.«
»Kumpeltod
hat man das Schnapskontingent genannt«, wusste Nachtigall. »Beziehungsreich.«
»Nun,
die Kumpel wussten natürlich, was ihnen von dem Zeug drohte. Alle wussten, wie
schädlich es war, und haben es dennoch gesoffen. Um sie herum starben die
Freunde und Kollegen – Magen, Herz, Leber – so
manch einem hat es auch das Hirn weggeätzt. Dann gingen sie auf die Beerdigung
und haben sich hinterher mit Schnaps getröstet. Eine Schande«, plapperte die
Frau munter.
»Dann
war Tillmann Johns Tod also vorhersehbar«, sagte Nachtigall leise.
»Ja.
Und relativ schnell ist es gegangen. Als er gelb wurde, ging er zum Arzt. Kurze
Zeit später ist er seiner Frau unter den Händen gestorben. Gevatter Tod hat ihn
verflixt schnell kalt und starr werden lassen.«
»Und
der zweite Todesfall?«
»Ach
ja«, lachte die Frau und hielt dabei ihre Lockenwickler fest, die das Gesicht
bunt umrahmten. »Der Kleine. Fett und träge. Ich habe ihr immer gesagt, der
wird eines Tages daran sterben, dass sie ihn so sehr verwöhnt. Aber sie wollte
es ja nicht wahrhaben. Und dann, so etwa vor einer Woche, hat er es eben nicht
mehr fix genug über die Straße geschafft. Der Laster mit Obst für den
Supermarkt vorn an der Ecke war eindeutig der Gewinner – und
der Kleine platt. Der Fahrer hat ja noch nicht einmal bemerkt, was passiert
ist. Tja, der Lukas.«
»Wie?«
Wiener war empört über die emotionale Kälte dieser Frau. »Der überfährt ein
Kind und merkt nichts davon? Die Polizei hat ihn doch sicher ermittelt!«
Die
Nachbarin musterte den jungen Mann belustigt. »Kind? Quatsch! Der kleine
Liebling war der fette Kater von Hedwig. Der durfte sogar in ihrem Bett
schlafen, neben ihr auf dem Kopfkissen. Sie war eben völlig vernarrt in ihn. Wo
die Liebe hinfällt, sage ich immer.«
»Sie
ist auf dem Friedhof bedeutet in diesem Fall auf dem Tierfriedhof?« Nachtigall
hatte schon davon gehört. Neulich, als er mit den Katzen zur jährlichem Impfung
im Wartezimmer des Tierarztes saß, hatte er eine Broschüre gelesen. Sogar ein
eigenes Krematorium hatte man.
»Natürlich.
Ich glaube, nach der Beerdigung ist sie nicht wieder an Tillmanns Grab gewesen.
Er hat ihr nichts mehr bedeutet. Aber zu Lukas fährt sie jeden Tag. Sie ist ja
nun ganz allein in dem Haus, das setzt ihr ganz schön zu. Die Kinder sind
natürlich alle viel zu
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