Kumpeltod: Nachtigalls achter Fall (German Edition)
schon beendet, bevor
die Stimme ihr von diesem Vorhaben abraten konnte.
»Na,
das ist doch wirklich unglaublich!«
Sie
schlich zur Haustür.
Der
Eingangsbereich war überdacht, keiner der Nachbarn konnte sie sehen.
Schlecht.
Aber,
überlegte sie dann, um diese Zeit ist ohnehin niemand zu Hause. Alle zur
Arbeit.
Sie zog
den Schlüssel aus der Manteltasche.
Dachte
kurz darüber nach, ob es nicht besser wäre, sich zu bewaffnen, verwarf den
Gedanken im Bewusstsein der eigenen Schwäche aber sofort wieder. Jeder
Einbrecher würde ihr eine Schlagwaffe leicht entwinden können – das
barg unnötige Risiken.
Schon
in dem Moment, in dem sie in die Diele trat, konnte sie sein kurzatmiges
Schnaufen deutlich hören. Übergewicht, bestimmt mehr als 20 oder gar 30 Kilo,
diagnostizierte sie auf die Ferne, wahrscheinlich Diabetes, Bluthochdruck.
Typisches Zivilisationsopfer. Fast hatte sie Mitleid. Rechtzeitig erinnerte sie
sich daran, dass der Kerl widerrechtlich in ihr Haus eingedrungen war! Sofort war
ihr Zorn wieder entflammt.
»Sie!«,
rief sie energisch. »Sie sind festgenommen! Bleiben Sie, wo Sie sind! Jede Form
der Flucht ist aussichtslos, die Polizei ist auf dem Weg!«
Der
Dicke hockte auf dem Boden unter dem Fensterbrett und machte keinerlei Anstalten
zu entkommen.
»Wer
zum Teufel sind Sie eigentlich?«, fragte Frau Wintzel entrüstet.
Die
Antwort hörte sie allerdings nicht mehr, denn in diesem Augenblick stürmte die
Besatzung eines Streifenwagens ins Zimmer.
»Keine
Bewegung!«, brüllte einer der Beamten, während sich der andere fürsorglich bei
der Hausbesitzerin erkundigte, ob ihr etwas passiert sei.
»Alles
in Ordnung. Er sitzt ja nur da. Auf dem Heimweg habe ich aber gesehen, wie er
bei mir eingestiegen ist. Aber nicht bei Erika Wintzel! Bei mir hat jeder
Einbrecher schlechte Karten!«, stellte sie klar.
»Stehen
Sie auf!«, forderte der andere Beamte von dem unbekannten Eindringling.
»Kann
nicht«, keuchte der zurück.
»Wieso?
Reingeklettert sind Sie doch auch!«
»Ja – und
dabei auf was getreten, das weggerollt ist. Ich konnte mich nicht halten und
bin gestürzt. Jetzt kann ich eben nicht mehr aufstehen.«
»Ach?«
»Mein
Knöchel!« Anklagend wies er auf sein linkes Sprunggelenk. »Ich glaube, der ist
gebrochen.«
»Wer
sind Sie eigentlich?«, wiederholte Frau Wintzel ihre durchaus berechtigte
Frage.
»Der
Schornsteinfeger«, räumte der schwere Mann kleinlaut ein.
»Mein
Schornsteinfeger sieht anders aus. Den kenne ich«, widersprach die aufgebrachte
Frau. »Was also wollten Sie hier?«
»Ich
bin ja nicht der Chef. Der kommt sonst selbst. Heute hatte er einen Arzttermin
und hat mich geschickt. Er meinte noch, hier sei immer jemand da, ich müsste
mich nicht vorher anmelden. Aber als ich kam, war eben doch niemand zu Hause.«
Ein vorwurfsvoller Blick streifte die Hausbesitzerin. »Gut, dachte ich, fange
ich eben draußen an. Ich also rauf aufs Dach und den Schornstein gereinigt.
Aber plötzlich war das Ding so ungewohnt leicht. Dauerte eine Weile, bis ich
verstand warum: Die Kugel war abgefallen. Ist mir auch noch nie passiert. Nun
musste ich also warten, bis jemand kam, denn ohne Kugel geht’s ja nicht. Wie
ich so ums Haus rum bin, ist mir aufgefallen, dass das Fenster hier nicht gut
schließt. Tja … «
Das
Geräusch konnte Erika Wintzel erst gar nicht zuordnen.
Plötzlich
war es da.
Und
dann erkannte sie es: Gelächter. Und es kam von ihr!
»Wollen
Sie Anzeige erstatten? Grund genug hätten Sie allemal!«
»Nein«,
japste sie selig. »Er ist ja schon gestraft genug. Und es ist schon wahr, dass
normalerweise immer jemand zu Hause ist.« Ihre Augen leuchteten, sie spürte
neuen Schwung in ihrem Körper. »Aber das wird sich jetzt ändern!«
Verblüfft
sahen die Beamten ihr nach, wie sie mit federndem Schritt ins Arbeitszimmer
ihres Mannes ging, um die schwere Kugel aus der Esse zu holen.
9
Sie hatten die einsame
Besucherin schnell gefunden.
Hedwig
John stand an einem gekappten Baumstamm, in dessen Mitte eine Nische gesägt
worden war, um eine winzige Urne aufzunehmen. Nachtigall legte dem forschen
Kollegen seine gesunde Hand auf den Arm und gab ihm zu verstehen, dass sie sehr
behutsam vorgehen müssten.
Ganz
offensichtlich weinte die Frau.
Ein
Taschentuch wanderte von der Jackentasche in die Hand, sie wischte sich über
die Augen, sprach leise vor sich hin. Ihre Schultern zuckten fast unmerklich.
Erst
als sie sich umwandte und dem Ausgang zustrebte, trat
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